Dass es in der Oper schon einmal länger dauern kann, Lebewohl zu sagen oder zu sterben, ist der geneigte Zuschauer gewöhnt. In Claudio Monteverdis Il ritorno d’Ulisse in patria geht es, wie der Titel schon andeutet, hingegen gut drei Stunden allein um das Zurückkehren.
20 Jahre war Odysseus Spielball der Götter, und jetzt, endlich angekommen in Ithaka, erkennt ihn niemand mehr. Im Grunde erkennt er sich selbst nicht mehr. Schritt für Schritt muss er sich die Gunst seiner Bekannten, dann seines Sohnes Telemaco, und schließlich seiner Frau Penelope zurückgewinnen – nicht ohne Schwierigkeiten, Nebenbuhlern oder göttlichen Interventionen.
Die eigentliche Handlung passt auf einen Spickzettel, der Rest sind die brachialen Details des irdischen Seins. Schon allein deswegen ist die Entscheidung von Jossi Wieler und Sergio Morabito, diese Inszenierung an der Wiener Staatsoper im Hier und Jetzt zu verankern, nur folgerichtig. Der Ulisse war von vornherein alles andere als ein Autokraten glorifizierender barocker Roman, sondern ein Versatzstück, eine Parabel für die menschliche Zerbrechlichkeit.
Die Bühne gestaltet sich so denkbar nüchtern. Fast sieht es so aus, als schaue man in ein altes Möbellager. Hier ein Tisch, dort ein paar Stühle, und dazwischen eingekeilt ein paar Kuriositäten; wie etwa ausgemusterte Businessclass-Sitze. Die Götter werden einfach ins vordere Abteil des Flugzeugs mit Champagner & Co verfrachtet – der Rest sitzt auf Holzstühlen und Bänken.
Das ganze eklektische Allerlei ist denkbar trivial und unterstreicht nur noch einmal, dass es in diesem Dramma per musica eigentlich um olle Kamellen, im Grunde aber um rein gar nichts geht.
Rein gar nichts? Nicht ganz, denn es geht um Emotionen und dafür soll die Bühne geschaffen werden. Und diese wird ganz formidabel von Georg Nigl als Titelheld ausgefüllt. Sein eher abgewrackt daherkommender Odysseus brilliert mit dem gesamten Facettenreichtum der Menschlichkeit: mal herzzerreißend intensiv, dann klagend oder selbstironisch überschlagend, verbittert, resignierend, lachend, und schließlich dann doch die vergangene Liebe heraufbeschwörend. Nicht eine dieser Szenen singt er mit weniger als 120 Prozent, nicht einmal ist er nicht glaubhaft, nicht echt. Durchdringend, und dort wo es notwendig ist wohlartikuliert und wohlgeformt, ist sein Tenor. Das Düstere, das Kantige, das Verzweifelte scheut er genauso wenig wie die elegischen Höhen.
Dieser hervorragenden Leistung kann sich Kate Lindsey als Penelope nicht in aller Konsequenz anschließen. Fast guttural in ihrer rohen Intensität, vermag sie die Verzweiflung und die innere Zerrissenheit einer Königin porträtieren, die 20 Jahre alleingelassen auf ihrer Insel ausharren musste. Fast greifbar wird der Schmerz in ihrer Stimme. Leider kann sie diese Brillanz nicht in ähnlicher Weise auf die leiseren, intimeren Szenen übertragen. Hier wirkt ihre Stimme im Kontrast manchmal etwas blass und eindimensional.
Ansonsten ist das Ensemble gut besetzt. Josh Lovell singt einen soliden Telemaco und Isabel Signoret spielt die Minerva engagiert, aber ohne große Glanzlichter zu setzen. Andrea Mastroni lässt als Neptun mit seinem Bass in die Tiefen der See blicken, die Odysseus zehn Jahre an der Rückkehr hindern sollten, wenngleich das letzte Quäntchen Überzeugungskraft fehlt. Durchaus positiv überraschten die Mitglieder des Opernstudios, allen voran Kathleho Mokhoabane, der mit seiner jugendlich schillernden Interpretation des Pisandro Lust auf mehr machte.
Am Pult steht Pablo Heras-Casado, der mit sichtlich großer Begeisterung das Concentus Musicus Wien durch die klangliche Vielfalt von Monteverdi führt. Es ist freilich kompliziert. Der großen, weit-offenen Bühne der Staatsoper fehlt die barocke Intimität. Um für Ausgleich zu sorgen, wurde das Orchester kurzerhand verstärkt. Die zehnköpfige Continuo-Gruppe kann den Saal mit glitzerndem Wohlklang fluten – bleibt aber nicht ohne Risiken. Gerade im Prologue hätten kammerorchestrale Töne die Leistung des Ensembles vielleicht besser über den Graben tragen lassen. Gleichwohl muss ebenso anerkennend bemerkt werden, dass, obwohl der barocke Charakter nie gänzlich verloren geht, Heras-Casado mit seinem Arrangement die erhaltende handschriftliche Abschrift dieses Stücken mitten in die Gegenwart hievt.
Etwas Sitzfleisch, gerade im knapp zwei Stunden währenden ersten Teil braucht man schon, aber alles in allem ist es dennoch ein gelungener und durchaus hörenswert Abschluss des Monteverdi-Zyklus an der Staatsoper. Kein bisschen verstaubt und mit echten, unverfälschten Klängen, die durchweg überraschen.