Wenn sich Andreas Schager und Nina Stemme an der Staatsoper als Tristan und Isolde präsentieren, sollte man sich das nicht entgehen lassen – mehr Promille für den Wagner-Rausch als mit dem aktuell überragenden Tristan und der Grande Dame des Wagnerfachs wird man sonst nicht so schnell zusammenbekommen, und einen zweiten Blick auf Calixto Bieitos Inszenierung aus dem Vorjahr kann man auch riskieren.
Zwar begann der von Philippe Jordan geleitete Abend lauwarm, da das Vorspiel schon nach wenigen Takten an Spannung verlor, doch wurde man beim Auftritt von Stemme und Christa Mayer als Brangäne sofort hellwach. Mit gut eingesungenen Kehlen ging es schnell hoch und heftig her, wie es die Aufregung über den baldigen Vollzug des Kuhhandels, der die irische Prinzessin Isolde zur Ehefrau des „müden“ Königs Marke in Cornwall machen soll, gebietet. Dementsprechend war auch Isoldes Wunsch nach einer Unterredung mit dem für dieses Unglück verantwortlichen Tristan (der ihr sein Leben schuldet) ein hitziger Vorgriff auf ihre Liebesnöte in den weiteren Aufzügen. Erfreut stellte man zudem fest, dass Mayer, die in dieser Tristan-Serie ihren Einstand am Haus gibt, mit der Stimmgewalt ihrer Bühnenpartnerin mehr als nur mithalten kann, und die Erwartungen an ihre hallenden Warnrufe im zweiten Aufzug nicht enttäuschte.
Diese beiden Sängerinnen lassen die merkwürdige Szenerie mit den achtzehn Schaukeln, an die sie sich wie an die Seile der Kupfer-Elektra klammern, vergessen, und diese Qualität hält bis zum finalen Liebestod. Fragen nach dem Sinn der Statisterie (Kinder im ersten, etliche Nackte im dritten Aufzug) kommen da gar nicht auf. Wesentlich interessanter fällt die Analyse der Personenregie aus. So hat etwa Kurwenal, dargestellt von Iain Paterson, einen ziemlich frechen Auftritt und verhält sich gegenüber Brangäne übergriffig – dies ermöglicht immerhin eine sympathische Entwicklung bis zum letzten Getreuen Tristans im dritten Aufzug. Stimmlich ist Paterson an diesem Abend leider weniger prägnant als gewohnt, was man von Andreas Schager nicht behaupten kann; im Gegenteil: War man schon bei seinem letzten Tristan von enormer Kraft und Emotion hingerissen, so schien seine Stimme noch einmal an Volumen zugelegt zu haben. Er schont sich nicht und wirkt doch, als bereite ihm diese mörderische Partie keinerlei stimmliche Mühen, obwohl er schon im ersten Aufzug mehr Präsenz als ein konventioneller Tristan zeigen muss. Bereits zu Beginn liegt er als eine Art Memento mori im Wasser am Bühnenboden, und bei Isoldes Erzählung und Fluch ist er zur Illustration des Gesungenen pantomimisch mit dabei.
Im Gegensatz dazu sind Tristan und Isolde im zweiten Aufzug getrennt und in über der Bühne auf- und abwärts schwebenden Käfigen untergebracht – gäbe es eine Scheidungsoper, wäre das eine ebenso passende Kulisse. Die papierenen Käfigwände lassen sich einreißen, doch das bringt die Liebenden nicht zusammen, da kann Tristan noch so wüten. Große Emotion gibt es trotzdem, wobei Schager am Anfang von „O sink hernieder…“ etwas zu laut ist, doch das tut dem Genuss kaum Abbruch – zumindest, wenn man als Publikum gern mitleidet, denn selten wünscht man sich die Verbindung der Liebenden so sehr wie an diesem Abend. Immerhin schaffen Schager und Stemme unter Jordans Dirigat ein musikalisches Zusammensein, zwischen das nicht einmal das erwähnte Papier der Dekoration passt.
Die Traditionalisten wird dieser Aspekt aber nicht trösten, und zumindest hinsichtlich der Wunde, die sich Tristan bei Bieito einige Zeit vor der Konfrontation mit Melot zuzufügen hat, wäre man mit dem originalen Tathergang auch tatsächlich besser gefahren. Durch die frühe Selbstverletzung wird nämlich nicht nur die Szene mit Melot ziemlich absurd (verlässlich wie immer: Clemens Unterreiner als Einspringer für Attila Mokus), zusätzlich geht der Schockeffekt zum zweiten Aktschluss verloren, und in weiterer Folge auch der große musikalische Zusammenhang. Der zweite Aufzug schließt ja mit Tristans Todeswunsch, Wunde und beginnendem Tod in As-Moll, zu dem das Finale mit Isoldes „Verklärung“ in der Paralleltonart H-Dur das Gegenstück bzw. die musikalische Auflösung bildet.
Musikalisch lässt sich Tristans Wunsch, Isolde in einen Selbstmordpakt hineinzuziehen, zwar nachvollziehen (wenn man so einer Lesart folgen möchte), doch spielt der Regisseur mit der Möglichkeit, dass das nicht Isoldes ursprünglicher Plan ist. Vor dem berühmten Liebestod setzt sie nämlich Tristans blutige Leiche an ihren Küchentisch – ein Sinnbild dafür, was hätte sein können, aber auch für die in diesem Werk thematisierte Aufhebung von Raum und Zeit (das Mobiliar stammt aus dem zweiten Akt in Cornwall, und augenscheinlich gleichzeitig von IKEA). Sehr diesseitig war auch Christof Fischessers König Marke, der so schönstimmig und friedlich wirkte, als wäre er gern bereit, mit Tristan und Isolde eine Patchworkfamilie zu gründen.
Das Staatsopernorchester wurde von Jordan sicher durch die stürmische Partitur gesteuert, und in ruhigerem Fahrwasser kamen Freunde epischer Breite auf ihre Kosten; dass Jordan sein Handwerk beherrscht und sängerfreundlich agiert, ist bekannt – mit dieser Besetzung konnte er sich aber auch mehr Leidenschaft als gewohnt erlauben, was eine Entwicklung in die richtige Richtung ist. Zusätzlich konnte man sich an perfekten solistischen Darbietungen und an der Abwesenheit von Kieksern im Blech erfreuen.