Die Wiener Staatsoper hat mit Margarete Wallmanns Tosca-Inszenierung noch Trost und Rat für jene, die sich für Regieexperimente nicht erwärmen können. Seit 1958 im Angebot, weiß man wenigstens, was man von Tosca für seine inflationierten Euros erwarten kann, und freut sich zusätzlich über eine prominente neue Besetzung.

Krassimira Stoyanova (Floria Tosca) und Michael Fabiano (Mario Cavaradossi)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Man verzeichnet mittlerweile die 638. Aufführung dieser Muster-Tosca, und sie begann, wie unter der musikalischen Leitung von Marco Armiliato zu erwarten, rasant und dramatisch comme il faut, schließlich geht es in Tosca um Lust und Liebe, Lust und Gewalt, Revolution, Totschlag und Mord. Im Vergleich zu Toscas geliebtem Kirchenmaler Cavaradossi, der trotz seiner revolutionären Gesinnung wohl einen realistisch bis verklärenden Stil pflegt, malt Armiliato mit breitem Pinsel und pastosem Farbauftrag. Bei dieser expressionistischen Lesart fiel auch kaum auf, dass im ersten Akt orchestral noch ein wenig aufgewärmt wurde, bis alles jene Geschmeidigkeit hatte, die man „Italianità“ nennt.

Als Cavaradossi begrüßt man in dieser Serie erstmals den Amerikaner Michael Fabiano, der international im Einsatz ist und insbesondere dem Publikum der Metropolitan Opera bekannt ist. Schade nur, dass ihn Armiliato beim Einstieg in „Recondita armonia“ mit einem schnellen Einsatz etwas verdutzte. Doch ein Profi wie Fabiano lässt sich davon nicht beirren und machte mit Kraft und langem Atem den guten ersten Eindruck, den man sich erhofft hatte.

Krassimira Stoyanova tritt in dieser Serie erstmals als Tosca auf und lässt mit stupender Stimmschönheit und Intensität schon bei „Mario, Mario!“ nicht nur den Geliebten aufhorchen. Mit ihrer perfekten Technik kann sie ihre Stimme mühelos durch alle Lagen gleiten lassen, wie es nur ganz Wenigen gegeben ist. Der Ruf einer Sing-Schauspielerin eilt ihr nicht gerade voraus, doch stimmte die Chemie zwischen ihr und mit ihrem theatralisch talentierten Cavaradossi. Liebe kennt bekanntlich keine Grenzen und keinen Altersunterschied – schon gar nicht auf der Opernbühne, wo die jungen Tenöre die reifen Diven begehren (oder zumindest verehren), und die Musik sowieso verzaubert. So wirkte auch dieses Paar zwischen Diven-Eifersucht, zärtlicher Beruhigung und vorfreudigem Geplänkel auf eine Liebesnacht glaubwürdig.

Luca Salsi (Scarpia)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Mit Luca Salsi hat man einen neuen Störenfried der erotischen Idylle, und er überzeugt vom ersten weltmännischen Auftreten in der Kirche bis zur letzten Sekunde. Seine durchschlagskräftige Stimme erlaubt es ihm, Scarpias finstere Pläne über Armiliatos Lautstärkenrausch bei der abschließenden Messmusik des ersten Akts kundzutun. Mit dem Weltmännischen ist es bei ihm im zweiten Akt allerdings vorbei, denn da bricht bekanntlich Scarpias wahres Ego durch. Immer wieder tritt er Tosca auf einschüchternde Art viel zu nahe und geht ihr auf der Chaiselongue an die Unterwäsche – da scheint Stoyanovas erschrockene wie empörte Tosca sogar ohne Cavaradossis Geiselhaft keine Wahl zu haben. Wenn sie sich zum gefolterten Cavaradossi auf den Boden wirft, sieht ihnen Scarpia zu wie zwei niedlichen Hasen, die er demnächst auf dem Teller haben wird. Aus dieser aufgeheizten Stimmung heraus wirkt „Vissi d’arte“ als jener Eskapismus, als der er komponiert ist, und wenn man die Kunst der Phrasierung so beherrscht wie eben Stoyanova, wirkt das so himmlisch wie Scarpias inneres Feuer höllisch ist, zumal er nicht nur laut, sondern auch hinterhältig zynisch klingen kann.

Zwischen diesen Polen steht Fabiano mit einem sehr menschlich-freudigem „Vittoria, Vittoria!“, das ansonsten oft nur breitbeinig-kraftmeierisch geschmettert wird. Die Nagelprobe für jeden Cavaradossi ist natürlich „E lucevan le stelle“, und hier wurde man nicht enttäuscht, auch wenn man keine Glanzleistung hörte – Fabianos angenehmer Stimme mit ihrem schnellen, feinen Vibrato hört man jedenfalls ebenso gern zu wie den solistischen Klarinettenklängen und dem Celloquartett zum Beginn des dritten Akts.

Abgerundet wurde der Abend durch ausgezeichnete Sänger in den kleineren Partien. Das gilt insbesondere für Wolfgang Bankl, der eine Luxusbesetzung als Mesner ist, auch wenn er ihn oft gesungen hat. Mit seinem schön wie klug geführtem Bass verleiht er dieser hintergründigen Figur jene Tiefenschärfe, die man bei anderen oft vermisst. Clemens Unterreiner ergänzte adäquat als gehetzter Ancelotti. Beide hatten wesentlichen Anteil daran, dass der Abend (insbesondere der erste Akt) weit über das Niveau eines gewöhnlichen Repertoireabends gehoben wurde. Auch Andrea Giovannini als Scarpias feiger und doch brutaler Scherge Spoletta machte ebenso Eindruck wie Hans Peter Kammerer als Sciarrone, Marcus Pelz als Schließer und Konrad Plank als Hirte.

Also wieder einmal drei tote Protagonisten, doch die Geschichte der ikonischen Wallmann-Tosca wird wohl weitergehen. Die Beleuchtung der Messbesucher zu einem lebendig gewordenen Chiaroscuro à la Caravaggio im ersten Akt und das beklemmend gleichförmige wie karikaturenhafte Auf- und Abtreten des Erschießungskommandos im dritten verfehlen ihre Wirkung nie, auch wenn man sie schon oft gesehen hat.

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