Anna Lapwood zählt zu den großen Orgelmeister*innen von heute und wirkt zudem als Dirigentin und im Rundfunk. Sie ist derzeit Musikdirektorin des Pembroke College, Cambridgeshire, und wurde 2022 Associate Artist der Royal Albert Hall. An der 9.999 Pfeifen zählenden Henry Willis-Orgel des Kulthauses genießt sie Nacht- und reguläre Konzerte. Die meisten kennen Anna Lapwood durch ihre fröhliche Präsenz in den sozialen Netzwerken, die sie nutzt, um mit dem Hashtag #playlikeagirl junge Frauen dazu zu ermutigen, das Instrument zu erlernen. Wir haben sie nun eingeladen, eine Bachtrack-Playlist ihrer zehn liebsten Orgelwerke zusammenzustellen. Ihre Auswahl sehen sie unten – mit dem Vorbehalt, dass dies ihre „derzeitige Liste der Top Ten ist, aber die ändert sich wöchentlich“.

Anna Lapwood
© Tom Arber

1Poulenc: Orgelkonzert in g-Moll

Poulencs Orgelkonzert ist ein Stück, das jeder kennen sollte. Es illustriert so viele verschiedene Seiten des Instrumentes, von feuriger Leidenschaft über frechem Humor bis hin zu herzerweichender Schönheit. In diesem Video spielt es Iveta Apkalna, eine meiner Lieblingsorganistinnen, zusammen mit dem hr-sinfonieorchester, das den opulenten Streicherklang, der für das ganze Stück gebraucht wird, wunderbar umsetzt. Lassen Sie sich aber nicht von der langsamen Einleitung täuschen – ab Minute vier geht es richtig heiß her.

2JS Bach: Präludium und Fuge in Es-Dur, BWV552

Es wäre keine Liste von Orgelwerken ohne ein Stück von Bach. Da ist die Auswahl groß, und beinahe jedes Werk ist es aus verschiedenen Gründen wert, an dieser Stelle erwähnt zu werden, aber das Präludium und die Fuge in Es-Dur, BWV 522, sind im Moment meine Favoriten. Sie rahmen seine Clavier-Übung III, und das Präludium spiegelt die christliche Numerologie, die sich durch die gesamte Sammlung zieht. Die dreiteilige Struktur des Präludiums soll den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist zeigen, während die Fuge den Dreierbezug mit drei Themen weiterführt, die in drei unterschiedlichen Metren stehen und in drei verschiedenen Kombinationen. Die Fuge trägt auch den Beinamen „St. Anna”, weil ihr Thema vieles mit dem englischen Kirchenlied gleichen Namens gemeinsam hat. Eine Orgelkomposition vom Feinsten!

3Vierne: Finale aus der Orgelsymphonie Nr. 1 in d-Moll, Op.14

Ein absoluter Klassiker für Organisten. Die Klangqualität dieser Aufnahme ist nicht besonders gut, aber Diane Bish ist eine Legende in der Orgelwelt und interpretiert mit viel Verve. Hier spielt sie auf der Kultorgel der Presbyterianischen Kirche Coral Ridge in Fort Lauterdale, Florida.

4Messiaen: Transport de Joie

Messiaen wird oft schnell mit für den Hörer schwieriger Musik in Verbindung gebracht, doch er schreibt Unglaubliches für Orgel und dieses Stück, der dritte Satz seines Frühwerks L’Ascension, ist ein Beispiel für eine Komposition, in der seine Harmonien voller ehrlicher Freude sind. Der volle Titel des Satzes lautet Transports de joie d’une âme devant La Gloire du Christ, qui est la sienne, zu Deutsch „Freudenausbrüche einer Seele vor der Ehre Christi, welche die ihre ist“.

5Zimmer: Interstellar 

Jeder, der auch nur ein bisschen Interesse an der Orgel hat, ist wahrscheinlich schon einmal auf Hans Zimmers Filmmusik zu Interstellar gestoßen – wohl der bedeutendste Einsatz einer Orgel in einer Filmmusik. Knapp zehn Jahre nach Filmveröffentlichung ist diese Musik noch immer enorm beliebt, und ich wage zu behaupten, dass diese Filmmusik wahrscheinlich mehr dazu beigetragen hat, die Orgel in die Popkultur zu bringen, als die meisten von uns übrigen zusammen! In dieser Aufnahme hören wir die Fassung als Konzertsuite, aber man kann die Orgel in Aktion sehen.

Es gibt auch ein wunderbares Video mit Blick hinter die Kulissen der Sountrack-Aufnahmen mit Roger Sayer in der Londoner Temple Church!

6Florence Price: Suite Nr. 1 für Orgel 

Das mag etwas ungewöhnlich scheinen, aber ich habe vor kurzem Florence Prices Orgelmusik lieben gelernt. Ich vermute, viele von uns kennen ihr kurzes Stück Adoration, ohne zu wissen, dass sie darüber hinaus für Orgel komponiert hat. Das hat sie, und nicht nur ein bisschen mehr, sondern ganze fünf Bände mehr! Und zwar allerlei, von kleinen Miniaturen hin zu einer monumentalen Passacaglia und Fuge, eine Sonate, Variationen über ein Volkslied und diese virtuose Suite. Den ersten Satz, eine extrovertierte Fantasie, liebe ich besonders.

Wenn Ihnen das gefallen hat, lohnt es sich, ihre übrigen Orgelwerke anzuhören – ich liebe dieses Video, in dem Nathaniel Gumbs das Finale aus ihrer Orgelsonate Nr. 1 spielt.

7Saint-Saëns: Danse macabre (Arr. Lemare)

Jetzt wird es lustig – ich sage oft, dass die Orgel ein bisschen wie eine Spielzeugkiste von Klängen ist, und es ist ganz schön außergewöhnlich, wie die Orgel so viele verschiedene Orchesterinstrumente nachahmen kann. Diese Transkription von Saint-Saëns gibt dem Hörer eine grobe Vorstellung von den sehr unterschiedlichen Klängen, die sie hervorbringen kann und die nicht ‚typische‘ Orgelklänge sind. Olivier Latry ist ein unglaublicher Organist und außerdem ein fabelhafter Improvisator.

Klicken Sie  hier, um das Stück auf YouTube anzusehen,

Olivier Latry an der Rieger Orgelbau in der Pariser Philharmonie
© Philharmonie de Paris

Latry ist Organiste titulaire von Notre Dame;  hier können Sie ihn improvisieren sehen.

8Demessieux: Te Deum 

Jeanne Demessieux war eine französische Organistin und Komponistin, die als virtuose Interpretin Karriere machte. Sie war die erste Organistin, die einen Aufnahmevertrag unterschrieb. Viele ihrer Kompositionen für Orgel, einschließlich ihres berühmten Te Deums, basierten auf Chorälen. Das Te Deum in der Form einer Symphonischen Dichtung basierend auf Fragmenten des Te Deum, und wurde offenbar von der State Trumpet auf der Orgel zu St John the Divine in New York inspiriert. Es gibt viele Fotos von Demessieux, die zeigen, dass sie die Orgel oft in ziemlich außergewöhnlichen Stilettos spielte. Organistin Katelyn Emerson zollt Demessieuxs Schuhwerk in dieser erstaunlichen Aufnahme Tribut.

9Fauré: Sicilienne aus Pélleas et Mélisande (Arr. Ospital) 

Ein weiteres Stück eines französischen Organisten, diesmal gespielt von Thomas Ospital, Organist zu Saint-Eustache. Ich liebe diese Aufnahme von Faurés Sicilienne, weil sie zeigt, zu welch schierer Klangschönheit die Orgel in der Lage ist. Ja, wir alle hören Orgelmusik gern so laut, dass die Wände wackeln, aber dieses Instrument kann so viel mehr!

10Dukas: Der Zauberlehrling (Arr. Scott) 

Dieses Stück ist einfach phänomenal. Jonathan Scott spielte es vor ein paar Jahren bei den BBC Proms, und ich höre es mir immer wieder an – es ist ein weiteres, fantastisches Beispiel dafür, wie vielseitig die Orgel ist. Jonathan ist ein atemberaubender Virtuose und hat zahlreiche Orgelarrangements von großen Orchesterwerken verfasst. Ich liebe auch, wie es ihm gelingt, in seiner Interpretation wirklichen Humor und echtes Drama auszudrücken. Dies hier ist ein Video, das man nicht nur hören, sondern auch anschauen muss, weil man sieht, wie vertrackt der Prozess des Registerziehens (das Einstellen der verschiedenen Klänge) ist! Oh, und er spielt viele verschiedene Manuale gleichzeitig. Es ist einfach super!

 

 

Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.