Laut einem internationalen Panel professioneller Musikkritiker dominiert Deutschland die Klassikwelt, wenn es um reine Qualität der Orchester geht. Fünf der besten Orchester, wie vom Expertenpanel gewertet, stammen aus Deutschland, angeführt von den Berliner Philharmonikern als weltbestes Orchester. Das Gewandhausorchester Leipzig (4), die Staatskapelle Berlin (7), die Staatskapelle Dresden (8) und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks (10) stellen sicher, dass deutsche Orchester in der Rangliste stark vertreten sind.

Die Berliner Philharmoniker beim Eröffnungskonzert ihrer Saison 2015
© Monika Rittershaus

Neil Fisher, Redakteur der Times, macht deutlich, warum die Berliner Philharmoniker sich von den anderen Orchestern abheben: „Die Berliner Philharmoniker setzen einen internationalen Standard mit ihrer Virtuosität und ihrem präzisen Zusammenspiel. Darüber hinaus allerdings zeigen die Musiker einen spürbaren Hunger, einen Schritt weiter zu gehen, ihr Publikum, ihre Dirigenten und sich selbst auf die Probe zu stellen.

Während das Interesse an der Wahl des Orchesters eines neuen Chefdirigenten eine Spaltung innerhalb der Organisation aufgezeigt hat – und die Schattenseiten einer undurchsichtigen Managementstruktur – hat es auch die Einzigartigkeit eines Orchesters dargestellt, das unter Simon Rattles vieldiskutierter Leitung weltweit beständig die Kritiker und die Fans gleichermaßen fasziniert.”

Sir Simon Rattle dirigiert die Berliner Philharmoniker
© Monika Rittershaus

Das Königliche Concertgebouw-Orchester Amsterdam liegt unserem Panel zufolge auf Platz zwei, während die Wiener Philharmoniker einen entfernten dritten Platz belegen. Nur ein britisches Orchester – das London Symphony Orchestra (6) – schaffte es in die Top Ten, während das Chicago (5) und das Boston Symphony Orchestra (9) die Vereinigten Staaten repräsentieren. Das höchstplatzierte französische Orchester war das Orchestre de Paris auf Rang 28.

Beliebtestes Orchester der Welt 2015

Seit einer vergleichbaren Wahl des Gramophone-Magazins sind bereits sieben Jahre vergangen, und zwei Orchester sind steil aufgestiegen: die Staatskapelle Berlin (die nicht unter die Top Twenty des Gramophone-Magazins kam, und das Gewandhausorchester Leipzig (aufgestiegen von Platz 17 auf 4). Beide Male könnte das mit dem Ansehen ihrer Dirigenten, Daniel Barenboim und Riccardo Chailly zusammenhängen.

Riccardo Chailly dirigiert das Leipziger Gewandhausorchester
© Jens Gerber
Und in der Tat führt Chailly die Abstimmung als bester Dirigent der Welt an. Er ist seit 2005 Kapellmeister des Gewandhausorchesters, zudem Chefdirigent am La Scala, bis er dort 2017 den Posten des Musikdirektors übernehmen wird. Chailly wurde zum nächsten Musikdirektor des Lucerne Festival Orchestras ernannt, beginnend mit dem diesjährigen Festival. In diesem Herbst unternimmt er mit dem Gewandhausorchester Konzertreisen nach Wien, Paris, Birmingham und London mit einem Programm mit Mozart und Strauss. Ihre Aufnahmen von Brahms' Serenaden wurden in der vergangenen Woche mit dem ECHO ausgezeichnet, und ihre DVD mit Mahlers Neunter Symphonie war für einen Gramophone Award nominiert. Die Welt der Klassik liegt Chailly einfach zu Füßen.

Als Antwort auf diese Nachricht sagte Maestro Chailly: „Danke an alle Kritiker, und meine besten Grüße an alle.“ Im Gespräch über die Qualitäten, die er dem Gewandhausorchester und den Musikern am La Scala gebracht hat, erklärte er, dass er versucht hatte, „ihre Persönlichkeiten zu respektieren, und das zurückzubringen und zu restrukturieren, womit sie ihre Spuren in der Geschichte der Musik hinterlassen haben.“

Kein Konzert, keine Oper, die Riccardo Chailly dirigiert, ist eine bekannte Erfahrung,” erklärt Neil Fisher. „Der italienische Dirigent besitzt eine erstaunliche Fähigkeit, Dinge neu zu überdenken, zu provozieren und zu begeistern, und er tut all das in einem breiten Repertoire, das seinesgleichen sucht, von Puccini-Opern und Brahms-Serenaden über Bach-Passionen und Kurtag-Miniaturen. Chailly verbindet durchdringenden Intellekt mit dem spontanen Charisma eines geborenen Entertainers, und das Ergebnis ist durchweg radikal und erfrischend.“

Beliebtester Dirigent der Welt 2015

Sir Simon Rattle, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, wurde nur knapp von Chailly vom Spitzenplatz verdrängt. Rattle führte sein Berliner Orchester am Anfang des Jahres in eine internationale Konzertreise in Zyklen von Sibelius-Symphonien, für das Orchester weitgehend unbekanntes Material, doch nicht für seinen Dirigenten. 2017 wird Rattle den Posten des Musikdirektors des London Symphony Orchestra übernehmen, und es hat einige Berichte in den Nachrichten über seinen Wunsch eines neuen Konzertsaals in London gegeben.

Kirill Petrenko
© Wilfried Hösl

Kirill Petrenko, der mach einer Überraschungswahl der Berliner Philharmoniker in diesem Sommer nun ihr nächster Chefdirigent wird, landete auf Platz 7 in den Top Ten der Kritiker. Christian Thielemann, der sich in der Wahl um den Berliner Posten letztlich nicht durchsetzen konnte, belegt Rang 10.

Auf Platz Nummer 4 sehen wir Andris Nelsons, der sich gerade erst vom City of Birmingham Symphony Orchestra verabschiedet und seine neue Stelle beim Boston Symphony Orchestra angetreten hat. Zu den Höhepunkten der vergangenen Spielzeit zählt Mahlers Achte in Tanglewood, Mahlers Fünfte beim Lucerne Festival sowie Mahlers Sechste mit dem Boston Symphony Orchestra bei den BBC Proms.

Andris Nelsons
© Marco Borggreve

Während es durchaus unterschiedliche Ansichten geben kann über die Dirigenten, die es in die Top Ten geschafft haben, war ich besonders überrascht, dass ein Dirigent nicht darin auftaucht: Semyon Bychkov hat mich in den letzten Jahren durchweg beeindruckt, sei es mit dem London Symphony Orchestra, den Wiener Philharmonikern oder gar dem BBC Symphony Orchestra, doch seinen Namen fand man in keiner Top Ten-Nominierung. Vielleicht ist er nicht auf dem Radar, weil er keinen Chefdirigentenposten innehat (und das schon seit Langem, seit er seine Stelle beim WDR Sinfonieorchester Köln verlassen hat).

Wie denken Sie darüber? Stimmen Sie den Kritikern zu? Ist Ihr Lieblingsorchester und Ihr Lieblingsdirigent in unseren Top Ten vertreten? In den nächsten vier Wochen haben Sie Gelegenheit, für Ihre Favoriten abzustimmen, also klicken Sie hier, um Ihre Stimme abzugeben.



Bachtracks Panel setzte sich aus 16 Kritikern aus aller Welt zusammen; ihre Nominierungen wurden unabhängig abgegeben. Das waren unsere Experten:

Tim Ashley (The Guardian, Großbritannien), Lazaro Azar (Reforma, Mexiko), Manuel Brug (Die Welt, Deutschland), Eleonore Büning (FAZ, Deutschland), Hugh Canning (The Sunday Times, Großbritannien), Arthur Dapieve (O Globo, Brasilien), Manuel Drezner (El Espectador, Kolumbien), Harald Eggebrecht (Süddeutsche Zeitung, Deutschland), Neil Fisher (The Times, Großbritannien), Christian Merlin (Le Figaro, Frankreich), Martin Nyström (Dagens Nyheter, Schweden), Clive Paget (Limelight, Australien), Clément Rochefort (France Musique, Frankreich), Benjamin Rosado (El Mundo, Spanien), Gonzalo Tello (El Comercio, Peru), Haruo Yamada (Japan)

Jeder dieser Kritiker nominierte seine bzw. ihre persönlichen Top Ten der Orchester und Dirigenten mit einem Punktesystem, in dem der Nummer Eins 10 Punkte, der Nummer 10 ein Punkt vergeben wurde.

Drei Kritiker aus Nordamerika haben sich der Wahl enthalten, da sie der Meinung waren, noch keine ausreichende Zahl der weltweiten Toporchester gesehen zu haben, um an dieser Abstimmung teilzunehmen.



Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.