Eine junge Frau, die von einem mächtigen Mann begehrt und von einem anderen zurückgewiesen wird, rächt sich, indem sie eine Kette von Ereignissen in Gang setzt, die zum schnellen Tod des einen führen und den Tod des anderen vorwegnehmen, wobei sie selbst den Tod findet. Die Handlung von Salome ist einfach, aber sie wird in ihrer Erzählung kompliziert, und das nicht nur wegen ihrer versteckten Anspielungen. Werden Dirigent und Orchester der komplexen Partitur von Richard Strauss gerecht? Ist die Inszenierung zu einfach oder so kreativ, dass sie entstellt? Sind die Solist*innen ihren anspruchsvollen Rollen gewachsen?

Malin Byström (Salome) und Pablo Delgado (Henker)
© Wiener Staatsoper | Ashley Taylor

Die Neuinszenierung der Wiener Staatsoper trifft meist ins Schwarze. Beifall gebührt dem Regisseur Cyril Teste für den Einsatz von Live-Videos, die auf die Rückwand der Bühne projiziert werden und uns Gesichter, Mimik und Handlungen zeigen, die die Handlung verdeutlichen. Die von Meisterparfümeur Francis Kurkdjian kreierte duftende Begleitung, die während des Tanzes der sieben Schleier durch den Zuschauerraum weht, ist ein netter Schachzug. Noch gewagter war es, dass Teste drei Salome auf die Bühne stellte, zwei davon sind Kinder. Eine davon ist die junge Ballerina Anna Chesnova, deren erschreckend suggestive Interpretation des Tanzes etwas zum Ausdruck brachte, was Strauss nur andeutete - Salomes sexuellen Missbrauch in sehr jungen Jahren durch Herodes, den Tetrarchen von Judäa. 

Ilja Kazakov (Erster Soldat), Benedikt Missmann, Anna Chesnova (Kleine Salome), Malin Byström
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Außerdem befreit ihre Anwesenheit die Bühne von einem potenziellen Fallstrick. Nur wenige Sopranistinnen, die die Titelrolle verkörpern, können so überzeugend tanzen, wie es nötig ist, um dem Schleiertanz, dem choreographischen Kernstück der Oper, erotisch gerecht zu werden. Malin Byström – die eine Salome im Sinne Strauss' verkörperte – könnte der Herausforderung gewachsen gewesen sein, aber das werden wir nie erfahren. Ihre Bewegungen beschränken sich auf ein paar Armbewegungen, bevor Chesnova die Bühne (und den Esstisch) betritt. Das andere, etwas ältere Kind Salome, gespielt von Margaryta Lazniuk, zeigt, wer die Prinzessin von Judäa war – oder hätte sein können – bevor das sie umgebende sexuell ausbeutende Patriarchat sie in ein Monster verwandelt hat. Während Byströms Salome über die Zurückweisung ihrer Liebe durch den Propheten Jochanaan wütet, schmiegt sich Lazniuks Salome an ihn, den Mann, dessen Kopf auf Salomes Verlangen hin auf einem Tablett landen wird. Die Salome nach Teste ist bereits ein Psychodrama, das uns tiefer in das führt, was die Protagonistin – oder ist sie eine tragische Heldin? – zu dem macht, was sie ist.

Wolfgang Koch (Jochanaan), Jana Radda (Kleine Salome) and Malin Byström (Salome)
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Doch während sich die Regie auf das Patriarchat und den sexuellen Missbrauch in der Kindheit konzentriert, spielen die Bilder einen anderen Konflikt des 21. Jahrhunderts herunter: den Zusammenprall der Kulturen. Das Thema des Heidentums, das sich durch die Oper zieht, wird durch den Palast von Herodes und das Christentum von Jochanaan repräsentiert. Aber das Bühnenbild von Valérie Grall bringt es nicht zum Ausdruck. Wenn Teste und sein Team die Aktualität dieses Konflikts unterstreichen wollten, hätten sie es besser machen können, als den Vorhang über einem Esstisch aufgehen zu lassen, der wie ein freundliches Treffen von Verwandten im Haus einer wohlhabenden westlichen Familie aussieht. Die zeitgenössischen Kostüme von Marie La Rocca, vor allem die modernen Militäruniformen, tragen dazu bei, dass der Zusammenhang verloren geht. 

Malin Byström (Salome)
© Wiener Staatsoper | Ashley Taylor

Byström hätte alle Anforderungen von Strauss erfüllt. Er wollte eine Salome mit einer „Isolde-Stimme”, und die schwedische lyrische Sopranistin konnte in den Gesangspassagen, in denen sie ihre Kraft als stolze, trotzige Prinzessin von Judäa gegen die Fortissimos eines 102-köpfigen Orchesters ausspielte, mehr als überzeugen. Aber ihrer Stimme fehlte etwas von der Verletzlichkeit, die in den Momenten gefordert war, die den zerbrechlichen emotionalen Zustand von Salome widerspiegeln, der geschädigten Kindfrau, die sich in den ersten Mann – buchstäblich verrückt – verliebt, der sie zurückweist; Jochanaan, der in ihr nicht die Schönheit sieht, die ihren Stiefvater in den Wahnsinn treibt, sondern die Verderbtheit ihrer zügellosen Mutter, Herodias. Die Mezzosopranistin Michaela Schuster spielte ihre bekannte Rolle perfekt, ebenso wie Gerhard Siegel als Herodes. Als Jochanaan trug der Bariton Wolfgang Koch zum Reichtum eines Abends bei, der von Wagner-Stimmen dominiert wurde. Doch während sein Gesang die Dramatik seiner Figur vermittelte, war sein Spiel zu passiv, um den Trotz des Boten Christi in der Löwengrube des judäischen Königshofs vollständig zu vermitteln.

Michaela Schuster (Herodias), Gerhard Siegel (Herodes) und Ensemble
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Es gab jedoch keine Passivität in Philippe Jordans energischer und doch nuancierter Wiedergabe einer Partitur, die von einer Tonart zur anderen, von Tonalität zu Polytonalität und von krachendem Schlagzeug zu einem einzigen Soloinstrument springt. Die Bedeutung von Strauss' Ansicht, dass ein „echter Musiker in der Lage sein muss, ein Menü zu komponieren”, mag schwer zu verstehen sein. Für die musikalische Kost, die Jordan und das Staatsopernorchester auftischten, galt das nicht. Sie trug mehr als dazu bei, dass es ein köstlicher Opernabend war.


Ins Deutsche übertragen von Elisabeth Schwarz.

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