Nach der Hälfte des zweiten Aufzugs von Lohengrin in Dresden, als Anna Netrebko Elsas „Euch Lüften, die mein Klagen” zu singen begann, traten dieser erfahrenen und bisweilen übersättigten Opernbesucherin Tränen in die Augen, Tränen der Freude und der Dankbarkeit. Es ist lange her, dass mich die schiere Schönheit einer Stimme so tief berührt hat. Ihre erste Wagnerheldin sang Netrebko mit ihrem vollen, sonoren Sopran nicht nur mit kräftigem, klarem Strahlen, sie dunkelte ihre Stimme auch für die sanfteren Passagen ein. Verzierungen führte sie gekonnt aus; ihr Legato schwang sich üppig auf, hohe Töne waren mühelos und exquisit, ihre deutsche Diktion klar.
Diese Elsa war keine Jungfer in Not. Selbst im ersten Aufzug stand sie ihren Mann gegen ihre Ankläger, war Ortrud in falscher Notlage im zweiten Aufzug eine mitfühlende Freundin und entfesselte dann ihre Frustration gegenüber Lohengrin im dritten. Sie war eine unabhängige Frau, die sich in einen Mann verliebte, der ihr nicht bieten konnte, was sie suchte: völliges Vertrauen und Offenheit. Selbst dieser erste Ausflug in die Materie war einzigartig und packend. Netrebko entfesselte unermüdlich Wellen wunderschöner Klänge; ihr langer Atem ermöglichte es ihr, lange auf ihren Tönen zu verweilen – eine Traum-Elsa.
Anna Netrebko und ihre Kollegen erhielten von Christian Thielemann und der Staatskapelle Dresden starke Unterstützung. Thielemanns Dirigat zeigte, dass er einer der führenden Wagnerdirigenten unserer Tage ist. Das Vorspiel nahm er in wohlüberlegtem Tempo, nicht zu schnell und nicht zu langsam. Das komplexe Entfalten der Streicher wurde von außergewöhnlicher Klarheit und Transparenz beleuchtet. Alles floss organisch und natürlich; es gab kein Zögern, keine Unterbrechung. Bemerkenswert war auch, dass Thielemann dem Orchester bedeutete, die Lautstärke für die Sänger zurückzunehmen. Dies erzeugte das Gefühl, dass die Stimme sprichwörtlich auf der instrumentalen Begleitung ritt, klar und frei. Die Sänger mussten nicht forcieren, um es mit dem Orchester aufzunehmen, was es ihnen erlaubte, auch leise zu singen, wo es erforderlich war.
Thielemann hob sich das kräftigste Spiel für die Vorspiele und Übergangspassagen auf. Oft streckte er das Tempo, um feine Nuancen und komplexe Zusammenhänge hervorzuheben. Es gab bemerkenswerte Augenblicke, zu denen auch die Blechbläser aus den Seitenbalkonen zählten.
Neben Netrebko machten zwei weitere Protagonisten ihr Debüt: Piotr Beczała als Lohengrin und Tomasz Konieczny als Telramund. Beczała als Schwanenritter nutzte seine schimmernde Stimme und seinen eleganten, italienischen Stil wirkungsvoll in einer direkten und ehrlichen Interpretation, sowohl stimmlich als auch dramatisch. Man hätte sich vielleicht etwas mehr Variation im Ton erhofft, mehr Feinsinnigkeit und mehr piano. In Ensembles verlor sich seine Stimme manches Mal, wo es eines kräftigeren Instruments bedurft hätte, das über die anderen Sänger und das Orchester trägt. Nichtsdestotrotz war das ein glaubwürdiger Einstand.
Tomasz Koniecznys Telramund war das Gegenteil dazu mit differenzierter Dynamik und Farbe ,um den Mann der falschen und fehlgeleiteten Ambition zu charakterisieren. Der Anfang des zweiten Aufzugs mit Telramund und Ortrud war einer der Höhepunkte der Vorstellung, voller Spannung und Dramatik. Evelyn Herlitzius war mit ihrer eindrucksvollen Bühnenpräsenz und ihrem engagierten Gesang das perfekte Gegenstück, sowohl für Konieczny als auch später im selben Akt für Netrebko. Ihre Stimme ist vielleicht nicht die schönste, doch eine kraftvolle, die durch das Orchester drang und das Böse ihrer Figur nachdrücklich zum Ausdruck brachte. Die Duettszene von Elsa und Ortrud im zweiten Aufzug war ein weiterer Höhepunkt, mit Elsa auf einer erhöhten Plattform mit Fenster und Ortrud direkt darunter. Dann kamen die beiden Frauen auf der Bühne zusammen. Während Elsa von glücklichen Gedanken sang, drückte Ortrud falsche Bedenken und falsche Reue aus. Der Kontrast der beiden Stimmen trug zum dramatischen Effekt bei.
Georg Zeppenfeld sang Heinrich mit Würde und Kraft, wenngleich seiner Stimme die Schwere eines typischen Basses fehlte. Derek Welton war mit seiner jugendlichen Stimme und Präsenz ein denkwürdiger Herold. Alle Protagonisten sowie der Chor waren gut angeleitet; nicht nur die Interaktion der zentralen Figuren war gestaltet, um die Dramatik zu unterstreichen, auch der Chor war wichtiger Teil der Handlung in wohlchoreographierten Bewegungen.
Christine Mielitz' Produktion von 1983 und versetzt die Handlung den Kostümen nach zu urteilen etwa ins 19. Jahrhundert, war darüber hinaus jedoch sehr traditionell. Lohengrin erschien auf der Bühne auf dem Rücken eines gigantischen Glasschwans; der Schwan kehrte am Ende zurück, um den jungen Knaben Gottfried zu zeigen. Die hohen Glaswände wurden wirkungsvoll als Hintergrund genutzt.
Vor allem aber erlebte man an diesem Abend eine unvergessliche musikalische Vorstellung, größtenteils dank Anna Netrebkos wunderbarem Wagner-Debüt und Christian Thielemanns aufschlussreichem Dirigat.
Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.