Im Gewandhaus-Shop steht stolz eine CD mit dem Titel Leipzig Classics: Bach, Mendelssohn, Schumann, Wagner und Grieg, die alle beträchtliche Verbindungen zur Stadt hatten, finden sich darauf. Von Richard Strauss keine Spur. Nur wenig verbindet Strauss mit Leipzig; gelegentlich hatte er das Gewandhausorchester dirigiert, und der erste vollständige Zyklus seiner Tondichtungen wurde hier in der Spielzeit 1920/21 unter Arthur Nikisch vorgestellt. Trotzdem hat das Gewandhaus eine ganze Serie von Strauss-Veranstaltungen im Programm, die im gestrigen Konzert anlässlich des 150. Geburtstages des Komponisten unter Riccardo Chailly ihren Höhepunkt erlebte.

Neben dem feierlichen Anlass war dieses Konzert aber auch Zeichen eines bedeutenden Abschiedes: Erster Cellist Jürnjakob Timm trat zum letzten Mal mit dem Orchester auf, das ihn dafür mit der Solo-Rolle als Cervantes' fahrender Ritter Don Quixote belohnte. Zu Anfangs schien er (verständlicherweise) nervös und spielte mit etwas dünnem Ton, doch er fand sich schnell in eine gefühlvolle Darstellung ein und gestaltete Don Quixotes Monolog vor seinem Tod nostalgisch, aber nicht naiv. Timm spielte das 'Klengel-Cello', das Instrument, das von Julius Klengel, vormals erster Cellist des Gewandhauses bis 1924, gespielt worden war, und brachte damit einen Klang ein, den Strauss selbst gekannt haben wird.

Mit geistreichen Kommentaren mimte Vincent Aucante, erster Bratschist, seinen treuen Kumpanen Sancho Panza, aber die größte Pracht dieser Vorstellung und des ganzen Konzertes war der sagenhafte Klang des Gewandhausorchesters. Er gründet auf der stabilen Basis der tiefen Streicher, der nur wenige Orchester gleichkommen. Die dunkle Färbung der Kontrabässe (im Graben hinter den ersten Violinen) und Celli ist voller Schokoladen- und Mahagonitöne, während die tieferen Holzbläser mit ihrer tanzenden, glucksenden Harmoniemusik beim Zusammentreffen von Don Quixote und Dulcinea beeindruckten. Tenortuba und Bassklarinette boten ein charaktervolles Paar, das Sancho Panzas Dialog mit Don Quixote unterstützte, und die Glissandi der Basstuba und der Kontrafagotte am Ende der vierten Variation (Unglückliches Abenteuer mit einer Prozession von Büßern) war erfreulich unanständig. Flatterzüngige Blechbläser hauchten der Herde von Schafen der Variation II Leben ein, und der Kampf gegen die Windmühlen wurde durch ein col legno der Celli und ein Schwirren der Flöten eindrücklich dargestellt.

Chailly hielt dieses von Natur aus episodische Werk auf klarem erzählerischem Kurs, dirigierte präzise und ohne in effektheischende Gesten zu verfallen.

In Anbetracht der Tatsache, dass Strauss die weibliche Stimme geliebt hat, war es beinahe ironisch, dass die Aufgabe, einige Orchesterlieder vorzustellen, nicht einem Sopran, sondern einem Bariton zufiel. Matthias Goerne suchte anlässlich der Feier ein Quintett von Liedern aus, die vom Komponisten selbst orchestriert worden waren, von den beliebten Morgen und Ruhe, meine Seele zu dem weniger bekannten, aber dennoch wunderbar etherischen Hymnus. Selbst in den leisesten Passagen ist man sich Goernes kraftvollen Baritons immer bewusst, und sein Gesang ist unglaublich weich und flüssig. Trotz einiger Arm-ographie allerdings fehlte es ihm bisweilen an dramatischem Ausdruck. Die friedliche Atmosphäre im Morgen stand ihm am besten und fand ein Ebenbild im himmlischen Spiel des Konzertmeisters; Flöten- und Harfenbeiträge schenkten dem Hymnus zerbrechliche Schönheit.

In einem Interview, das etwas früher an diesem Tag stattgefunden hatte, hatte Chailly mit uns Journalisten darüber gesprochen, wie wichtig es ist, die "Kristallisation" zu vermeiden, die mit dem Folgen einer Tradition einhergehen kann. Er erhält die gehaltvolle Dunkelheit des Gewandhausklangs erfolgreich aufrecht, aber seine Interpretationen sprühen geradezu vor neuen Ideen, beispielsweise in einem ziemlich überwältigenden Till Eulenspiegel zum Abschluss des Konzertes. Chailly nahm das Stück in einem zackigen Tempo, ließ es ihm aber nicht an Präzision mangeln. Das einzige Mal an diesem Abend erlaubte er sich hier auch ein paar wenige dramatische Gesten, mit denen er sein Orchester anspornte derweil der Schlingel Till mit Lachen und Witzen vom einen Streich zum nächsten springt. Sogar Tills Hinrichtung wird - nach einem Moment der Stille - mit einem Lachen abgetan. Die spöttische Es-Klarinette wurde hierfür ganz ausgezeichnet gespielt, ebenso Tills berühmtes Horn-Thema, das man gleich zu beginn hört. Die Fagotte gaben sauertöpfisch die muffigen Akademiker, und fetzende Trompetenklänge kündeten grandios von Tills drohendem Schicksal. Dies war eine hochvirtuose Darbietung und ein gewitzter wie prägnanter Abschluss eines ausgezeichneten Tributes an Richard Strauss, das Lust auf mehr vom Gewandhausorchester macht - zum Beispiel auf die Mozart-Konzerte und den Zyklus Strauss'scher Tondichtungen, die beide für die Spielzeit 2015/16 in Planung sind.

Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.

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