Als „mittlere Stimme” zwischen den schrillen Geigen und den sonoren Celli, besitzt die Bratsche ein weitaus kleineres Solorepertoire. Genau genommen ist sie häufig die Zielscheibe des Spotts, aber die sanften – und melancholischen – Eigenschaften des Instruments haben auch großartige Musik inspiriert. Für unsere Top Ten haben wir einige Leckerbissen von weniger bekannten Komponisten gefunden, sowie die Star-Konzerte und -Sonaten des Instruments.
1Hector Berlioz: Harold en Italie
Q: Welcher ist der längste Bratschen-Witz der Welt? A: Harold in Italien! Früher habe ich dem zugestimmt, aber alle Witze beiseite, Antoine Tamestits Aufführung bei den Proms letztes Jahr hat mich wirklich davon überzeugt, dass Berlioz’ „Symphonie mit Viola Obbligato” ein kleines Meisterwerk ist, nicht so sehr ein Konzert für Bratsche (Niccolò Paganini hat es ursprünglich abgelehnt, nachdem er die ersten Entwürfe gesehen hatte), sondern ein Werk, in dem die Bratsche Harold selbst ist, der Außenseiter, der versucht, seinen Platz zu finden. Tamestits umherwandernde Aufführung – er bewegte sich durch die Orchesterreihen (allerdings leider nicht in diesem Video) – war offenbarend. [Mark]
2Jörg Widmann: Viola Concerto
Apropos theatralische Vorstellungen, Antoine Tamestits ungewöhnliche Interpretation von Harold in Italien war bestimmt von Jörg Widmanns Bratschenkonzert inspiriert. Widmann, Klarinettist, Komponist und Tamestits langjähriger Kammermusikpartner, lässt den Solisten frei durch das Orchester wandern und erlaubt es der Bratsche, sich in den Orchesterklang zu mischen, neue Farben zu erschaffen oder sich in intimeren Phrasen auszuzeichnen. [Elisabeth]
3Rebecca Clarke: Viola Sonata
Rebecca Clarke schrieb ihre Sonate für Bratsche 1919 für einen Kompositionswettbewerb, wo sie punktgleich mit einem Stück des Schweizer Komponisten Ernest Bloch den ersten Platz erreichte. Bloch gewann. Doch als wäre dies nicht genug, wurde Clarke’s Sonate so positiv aufgenommen, dass viele annahmen, dass „Rebecca Clarke” das Pseudonym eines männlichen Komponisten war, vielen dachten sogar Bloch selbst. Sie wurde 1921 erstmals veröffentlicht und markiert den Höhepunkt ihres musikalischen Schaffens. Ich könnte die Sonate nicht besser beschreiben als die amerikanische Bratschistin Jennifer Stumm: „Rebecca Clarke hat das Instrument neu erfunden, als etwas, das soft und feminin aber auch wild und stark sein kann.” [Elisabeth]
4William Walton: Viola Concerto
William Waltons Bratschenkonzert wurde für den großartigen Bratschisten Lionel Tertis komponiert, der es – wie Paganini Harold in Italien – zunächst abgelehnt hatte, obwohl er das Werk später wieder aufgriff und seinen Fehler erkannte. Die eindringliche Eröffnung des Konzerts, voll bittersüßer Melancholie, die diesem Instrument so liegt, ist besonders ergreifend, während das Scherzo Einflüsse des Jazz aufweist. [Mark]
5Béla Bartók: Bratschenkonzert, Sz 120
Béla Bartóks Konzert wurde für einen anderen wundervollen Bratschisten geschrieben, William Primrose. Bartók schrieb seine Entwürfe für das Konzert als er sich bereits im Endstadium seiner Leukämie-Erkrankung befand und er starb bevor er es vollenden konnte, aber sein enger Freund Tibor Serly führte es 1949 zu Ende. Wie viele Werke für Bratsche, hat es seine melancholischen Momente, wie der beschauliche Beginn, aber es weist auch Einflüsse der Volksmusik auf, besonders das Finale, das ganz nach einem Ungarischen Tanz klingt. [Mark]
6Antonio Vivaldi: Konzert für Viola d'amore a-Moll, RV 397
Um ehrlich zu sein, war ich nicht immer eine Liebhaberin Vivaldis, aber je mehr ich von seinem Œuvre höre, je besser ich es verstehe, desto mehr Schattierungen und Dramatik finde ich in seinen Werken und desto mehr schätze ich diese. Das Konzert a-Moll besitzt eine gewisse Dringlichkeit, ein Gefühl der Traurigkeit und Rastlosigkeit – vielleicht spricht mich deshalb RV 397 (von insgesamt sieben Konzerten für Viola d’amore Vivaldis) am meisten an. [Elisabeth]
7Carl Stamitz: Sonate für Bratsche B-Dur
Ein roter Faden durch diese Liste – und vor allem durch unsere Bonus-Liste – ist die Klarinette (nicht weiters überraschend, da wir beide Klarinettisten sind). Carl Stamitz, ein Zeitgenosse Mozarts und ein wichtiger Vertreter der Mannheimer Schule, ist vor allem für seine Werke für Bratsche und Klarinette bekannt und, anders als Mozart, Haydn oder Beethoven, schrieb er auch Sonaten für Bratsche. Seine B-Dur-Sonate beginnt mit einem fesselnden Allegro, gefolgt von einem zarten Andante moderato und einem stürmischen Rondo. Fun fact: Stamitz war der erste Komponist, der ein Pizzicato für die linke Hand präzisierte. [Elisabeth]
8York Bowen: Sonate für Bratsche Nr. 1 c-Moll, Op.18
Die Musik von York Bowen wird heutzutage nur selten gespielt, aber sie war um 1900 sehr beliebt und Bowen wurde oft als „der englische Rachmaninow” bezeichnet. Bowen schrieb seine c-Moll-Sonate als er gerade einmal 20 Jahre und noch Student war. In seiner ausdrucksvollen Komposition gibt es Anlehnungen an Brahms, aber die Stimmung ist oft optimistisch. Lionel Tertis, der das Werk uraufführte, nannte die Sonate „ein lebhaftes und unbeschwertes Werk”. [Mark]
9Dmitri Shostakovich: Sonate für Bratsche und Klavier, Op.147
Schostakowitschs Sonate für Bratsche und Klavier war das letzte Werk, das vom Komponisten vollendet wurde, nur Wochen vor seinem Tod 1975. Sie war Fyodor Druzhinin, Bratschist des Beethoven-Quartetts, gewidmet, das dreizehn seiner fünfzehn Streichquartette uraufgeführt hatte. Der Großteil der äußeren Sätze ist kahl und düster, während das zentrale Allegro oberflächlich betrachtet beinahe übermütig wirkt, aber bald ins triste Terrain abdriftet. [Mark]
10Wolfgang Amadeus Mozart: Sinfonia concertante für Violine und Viola Es-Dur, K364
Das Andante von Mozarts Sinfonia concertante mit seiner nachdenklichen Melodie ist vermutlich der bekannteste Satz dieser Liste. Obwohl das Werk nach der Veröffentlichung 1802 nur wenigen Spezialisten bekannt war, erlebte es im frühen 20. Jahrhunderts eine blühende Renaissance, als der englische Bratschist Lionel Tertis es in seinem Repertoire aufnahm und immer mehr Filmkomponisten auf das Andante aufmerksam wurden. Michael Nymans Filmmusik für Verschwörung der Frauen basiert ausschließlich auf dem langsamen Satz, der außerdem in Jenseits von Afrika und Amadeus (beide Soundtracks wurden von der Academy of St. Martin in the Fields unter Neville Marriner aufgenommen) vorkommt. Michel Legrands Popsong The Windmills of Your Mind, gesungen von Noel Harrison, wurde 1969 sogar mit dem Oscar für den besten Song ausgezeichnet. [Elisabeth]
Bonus
Da wir beide Klarinettisten sind, konnten wir es nicht ertragen, eine der zwei Op.120-Sonaten Brahms’ miteinzubeziehen. Der gute alte Johannes, der zweifelsohne ein Auge auf die kommerziellen Möglichkeiten hatte, genehmigte jedoch Versionen für Bratsche und Geige. Hier stiehlt Pinchas Zukerman also die Es-Dur-Sonate für Bratsche!