Was wäre die Musik ohne ihre Merkwürdigkeiten und den Humor, den ihre Komponisten vielleicht gleich ihrer Charaktere und aktuell jeweiligen Gegebenheiten der meistens ernsten Sache der Hochkultur haben angedeihen lassen? Abseits rein komödiantischer Unterhaltung im theatralischen Genre verpacken Künstler bekanntlich Persönlichkeit, zu verarbeitende Anlässe oder gesellschaftliche Zustände im Kleid des Naturalistischen, Karikaturhaften und Spöttischen, alles andere wäre auch langweilig oder gar selbst wiederum merkwürdig. Dies sind auch die momentanen Zeiten, sodass diese Playlist helfen mag, vielleicht mit einer Prise Witz durch die nachdenkliche Situation zu kommen. Manchmal geht es sogar nicht anders.
1Heinrich Ignaz Franz von Biber: Battalia à 10
Den Anfang macht Heinrich Ignaz Franz von Biber mit seinem ironischen Schlachtengemälde Battalia à 10, in dem die Spieler die Schrecken der Zeit auf's Korn nehmen, indem die Musketiere laienhaft durcheinander singen, sich betrinken, die Kanonen knallen lassen und sich an ihren schmerzlichen Verwundungen laben. Wie weit Biber seiner Periode damit schon voraus war, verdeutlicht dabei der Einsatz von schnellendem Bartók(!)-Pizzicato und angewiesenen naturalistischen Effekten durch die Streicher, wie das Musizieren mit Blatt, nicht nur vom Blatt. Neue Musik in der Alten Musik also. Aber sehen Sie selbst... Und wer nicht genug bekommt, kann sich noch auf Bibers Kollegen Schmelzer einlassen, dem mit seinen Sonaten, Balletten und Serenaden wie Polnische Sackpfeiffen, Der Nachtwächter und Die Fechtschule ähnlich Seltsames produzierte.
2Henry Purcell: King Arthur: „What Power art thou”
Ein wenig später kam Henry Purcell auf die Idee, seine legendäre „Fabel“ der Semi-Opera King Arthur mit der Arie des Cold Genius „What Power art thou” zu spicken. Die Erfrierungssymptome lassen da doch so manches Herz der Briten erwärmen, und nicht nur der.
3Georg Philipp Telemann: La Bizarre
Wenn von Merkwürdigkeit und Humor die Rede ist, darf ein Name nicht fehlen: Georg Philipp Telemann. Sein Witz, eher naturalistisch als karikaturhafter wie in seiner Ouvertürensuite Les Nations, springt einem aus vielen seiner Werke an. Da gibt es unter anderem die Pendants der La Bizarre, Don Quixote, Alster, beispielsweise sein quakenden Froschkonzert oder die Etüdensonate Gullivers Reisen mit abstrusen Notenwerten und Taktarten.
4Johann Sebastian Bach: Hochzeits-Quodlibet
Wenn man jetzt meint, Johann Sebastian Bach ließe sich darauf nicht herab, der irrt. In seinen weltlichen Kantaten – teils spotthaft – jault der Esel, sorgt sich der Vater um die kaffeesüchtige Tochter, wobei Erziehungsmethoden hinterfragt werden, oder leiert die Gesellschaft im Hochzeits-Quodlibet lästernd vor sich hin.
5Joseph Haydn: Distratto-Symphonie
Denkt man an Telemann, ist Joseph Haydn nicht weit, der naturalistischen Schabernack, Kurioses sowie Humor auf eine weitere Stufe der musikalischen Verarbeitung stellte. Da sind nicht nur das durchaus kirchenkritische Oratorium Die Schöpfung mit seinem gewürmkriechenden Kontrafagott beziehungsweise ein sprunghafter Tiger oder das zweite Großwerk Die Jahreszeiten, sondern seine hauptamtlichen Symphonien. In der Nr. 44 in fis-Moll verabschieden sich beispielsweise die Musiker nach vorgeschriebener Reihenfolge von der Bühne, in der Distratto-Symphonie stimmen die Streicher zu aller Verwunderung einfach mal kurz nach Beginn des Finales ihre Saiten nach. Wer übrigens schon bei Haydn und Giovanni Antonini ist, der kann ja mal Cimarosas Il maestro di cappella ein Ohr schenken.
6Wolfgang Amadeus Mozart: Diggi, daggi
Mozart. Ja, ob er so ungestüm war, wie in Milos Formans „Amadeus“? Kann schon sein, denkt man an zwei ehrwürdige Kanons wie Leck mich im Arsch oder Leck mir den Arsch fein recht schön sauber. Gesitteter kommt da sein Divertimento Ein musikalischer Spaß, eventuell inspiriert durch die Musikalische Schlittenfahrt ohne derbe Worte seines Vaters Leopold, daher. Die klangliche Janitscharen-Beliebtheit der Zeit, unter anderem begonnen mit Lullys erfundenem Osmanen-Kauderwelsch in Le gentilhomme burgeois, findet sich in der Zauberspruch-Arie aus Bastien und Bastienne wieder: Diggi, daggi...lirum-larum-Löffelstiel oder so ähnlich.
7Hector Berlioz: Damnation de Faust: Amen-Fuge
Apropos Zaubersprache: sie fliegt auch bei einem Kuriosum an sich herum, Hector Berlioz. Seine Damnation de Faust bietet allerdings noch mehr, unvergesslich ist – wenn theatralisch auf die Spitze getrieben – die verweltlichte Amen-Fuge der Bertrunkenen in Auerbachs Keller. Ansonsten tanzt sich noch der Ophikleidist in Benvenuto Cellini einen Wolf neben anderen ulkigen Figuren und Momenten, während Berlioz' Symphonie fantastique eine weitere Menge von einzigartigen Merkwürdigkeiten bereit hält.
8Jacques Offenbach: Barkouf
Nicht wie bei Kayser, bei dem der Doktor in Scherz, List und Rache nur die Stimme des Höllenhundes „Wau, wau“ bellt, übernimmt bei Jacques Offenbachs Barkouf der Hund gleich die Macht; okay, es ist Offenbach, eine Opéra-bouffe, da mag man zurecht sagen, hier handele es sich um einleitend beschriebene Komödie von Standeswegen, bei der Humor angebracht ist. Doch bei Offenbach steckt dahinter just beißender Spott über das Karikaturhafte, Absurde der Mächtigen und Regierenden oder das Abscheuliche der Zeit. So lohnt ein Hineinhören in Barkouf oder seine bekanntere Variante La Grande Duchesse de Gérolstein. Oder möglicherweise doch in viele weiterer seiner Operetten? Nicht Halt machte Offenbach übrigens vor dem satirischen Auf-den-Arm-nehmen Wagners Stils und Selbstbewusstseins in Le Carnaval des Revues, dem der Angegriffene – gar nicht lustig – mit seiner antisemitischen Widerwärtigkeit konterte und Offenbach in „Eine Kapitulation“ als Figur des Rattenobersts auftreten ließ.
9Richard Strauss: Till Eulenspiegels lustige Streiche
Von Wagner zu Richard Strauss ist es nicht weit. Besonders ernst geht es da eigentlich zu, gut, der Rosenkavalier parodiert auch etwas. Eine speziellere, wunderbare Ausnahme bildet hier jedoch die sinfonische Dichtung Till Eulenspiegels lustige Streiche, die der Komponist eben ohne viel Worte einfach mal so beschrieb: „Analyse mir unmöglich, aller Witz in Tönen ausgegeben.“ So schaut's aus! Entdecken Sie Tills Taten in Strauss' kopfverdrehendem Buch-Rondeau, welches Debussy veranlasste festzuhalten: „Dieses Stück gleicht einer Stunde neuer Musik bei den Verrückten.“
10Charles Ives: General William Booth Enters into Heaven
Fast eher „klassischer“ gehalten – wenn man das hier bei dem Komponisten überhaupt so sagen kann – ist dagegen die moderne Musik, die wir in Charles Ives' Song General William Booth Enters into Heaven erleben. Wie gut, dass da das gospelhafte „Hallelujah“ zwischen den tonalen und atonalen Merkwürdigkeiten (vom Text Vachel Lindsays generell ganz zu schweigen) in schwieriger Zeit vertraute Lebensfreude und Hoffnung vermittelt. Kurios, wie die Vertonung des Gedichts zu Ehren des Gründers der amerikanischen Heilsarmee, 1912 verstorben, überhaupt entstand. In der Zeitung fand sich eine Rezension über das poeme, von dem lediglich 31 Zeilen abgedruckt waren. Diese schrieb Ives ab, wenngleich ja weitere folgen. Pragmatisch nennt man das wohl, wenn er gleich ans Werk ging, diese inspirationell in Noten zu setzen. Und Pragmatismus ist ebenfalls das Gebot der Stunde. Noch neuerer – teils von Ives weiterspinnend – erfährt zudem mit Bernd Alois Zimmermann das Merkwürdige seine Verbreitung. Satirisch geht es beispielhaft in seiner Musique pour les soupers du Roi Ubu zu, vielleicht mögen Sie sogar dort mal hineinlauschen.