In der Sendung Today auf BBC Radio 4 hat sich Moderator John Humphrys am Montag plakativ – absichtlich gar – auf ein Minenfeld des Opernbetriebs gewagt. Er fühlte Rachel Tackley, Vorsitzende des Verbands UK Theatre, auf den Zahl und verpasste dabei dem Royal Opera House einen Seitenhieb, als er verächtlich behauptete, „man braucht eine Hypothek für diese Karten“. Es folgte eine Gegenreaktion in den sozialen Netzwerken – zu Recht. Humphreys weiß sehr wohl, dass auch günstigere Plätze verfügbar sind, „etwa 400 Meilen entfernt“, wie er wegwerfend hinzufügte. Was mich ärgert ist, dass er, obwohl er sich der günstigeren Plätze bewusst ist, fröhlich den Mythos erhält, dass Oper – und klassische Musik im Allgemeinen – nur etwas für wohlhabende Gönner ist, nicht für jemanden wie uns.
Als Kritiker habe ich das unglaubliche Glück, Vorstellungen von Weltklasse auf den besten Plätzen in wunderbaren Häusern zu besuchen. Ich besuche allerdings auch Vorstellungen, die ich nicht rezensiere, und für die ich aus eigener Tasche bezahle. Bei einem Gehalt, das (einer Umfrage des Büros für Nationale Statistik zufolge) etwa dem nationalen Durchschnitt entspricht, habe ich nicht besonders viel Geld übrig, das ich für Opern-, Ballett-, Theater- und Konzertkarten verprassen kann. Und trotzdem ist mein Kalender zum Bersten voll.
Ich habe mich sicherlich nicht 400 Meilen von der Bühne entfernt gefühlt. Ende September habe ich auch die Generalprobe von Romeo und Julia besucht, bei der ich ganz hinten im Amphitheater saß. Das kostete mich £5 [etwa 7€]. Üblicherweise sitze ich gerne näher an der Bühne – Parkett-Kreis und Stehplätze in der Galerie sind für mich die günstigste Option für Oper und Ballett. Nachdem ich den ganzen Tag im Büro gesessen habe, macht es mir normalerweise nichts aus, zu stehen. Wenn ein Sitzplatz vonnöten ist, gibt es viele bezahlbare, aus denen man wählen kann. Ich habe Orphée et Eurydice von einem Platz so nahe an der Bühne gesehen, dass ich beinahe den Arm ausstrecken und die Sänger berühren konnte – alles für £26 [ca. 36€]. Dafür braucht man gewiss keine Hypothek!
Und das gilt nicht nur für das Royal Opera House. Preise für Plätze im seitlichen Parkett der Royal Festival Hall sind sehr vernünftig, ebenso die in den höheren Rängen des Barbican. Ich besuche zahlreiche Veranstaltungen in der Wigmore Hall, deren „Kaffeekonzerte“ am Sonntagmorgen (es ist auch Sherry im Angebot!) gerade £13 [ca. 18€] kosten. Besucher unter 35 (die wunderbare Definition von „jung“ der Wigmore Hall) können für viele ihrer Konzerte Karten für £5 kaufen. Wenn ich eine Vorstellung in Glyndebourne sehen will, reihe ich mich im Mitternacht ins Gedränge, wenn im März der Kartenvorverkauf öffnet, um einen Stehplatz – akustisch superb – für 20 oder 30 Pfund zu ergattern. Der Mythos, dass man reich sein muss, um Klassik zu mögen, ist totaler Müll.
Als ich gestern Nacht aus dem Royal Opera House nach Hause kam, habe ich meine Kartenkäufe in diesem Jahr durchgesehen, aus dem Globe, dem National Theatre, dem Royal Opera House, Wigmore Hall, dem Barbican, Royal Festival Hall, St John's Smith Square,... Der höchste Preis, den ich 2015 für eine Karte bezahlt habe? £45... und das war für ein Fußballspiel der Premiere League. Was sagt Ihnen das, Mr Humphrys?
Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.