Musik der Neuzeit, also neben allem „klassisch“ verpflichtendem Repertoire heute klingende Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts, steht im Fokus eines jeden Rundfunk-Sinfonieorchesters, so auch dem des WDR. Es feiert dieses Jahr 75-jähriges Bestehen und wählte deshalb unverwunderlich treu unter ihrem Chefdirigenten Cristian Măcelaru, der nun den Rumänischen Kulturverdienstorden verliehen bekam, auch für das Jubiläumskonzert derartige Werke, die den Kern ihres künstlerischen Tuns abbilden. Dabei spielen die jeweiligen Musiker des Klangkörpers seit ihrer Gründung hauptsächlich neben beziehungsweise gegenüber, seit 35 Jahren auch unter dem Dom der Stadt. So verbinden sie noch äußerlich ehrwürdigen Auftrag mit Aktualität. Das galt ebenfalls für Carl Orff, dessen Kantate Carmina Burana – aus Inspiration und Bewunderung für Traditionelles einerseits und den Textfund im bier-kirchlich, leutselig-pendanthaften Kontrastort Benediktbeuern andererseits entstanden – sowohl unter dem Gesichtspunkt des Miteinanders von Orchester und WDR Rundfunkchor als auch dem des festlichen Anlasses wie maßgeschneidert und eigentlich üblich erschien.

Sarah Aristidou
© Andrej Grilc

Darin verzichtete Măcelaru allerdings höchst erfreulich auf allzu befürchtete Plakativität, ohne gleichzeitig in an fulminantem Bombast mit Durchsicht aller Instrumentenstimmen sowie besonders von Orff geforderter Textklarheit einzusparen. Und das in voller Besetzung des WDRSO, obwohl der Komponist doch bei allen Genehmigungen der modernen Aufnahmen – unter anderem unter seiner persönlichen Abnahme beim WDR 1956 – auf weniger Streichermasse Wert legte. Dem stand an diesem Abend ein eher kleineres, deshalb umso brillanteres Kehlengebilde aus dem Rundfunkchor und seinen jeher verbundenen Kollegen des NDR Vokalensembles gegenüber. Der frisch gebackene Ritter – auch das passte zur mittelalterlichen Bezugnahme! – gelangte in symphonischem, gesanglichem Weitblick zu den Früchten des Stücks als dramatisch-ulkig-seriöses Spektakel voller Rhythmus, mit Herausarbeitung innenliegender Emotionen und Weisheiten. Leichte wie demütige Meditation kontrastierte mit immersiv phrasiert ausgelassenem Tanz (auch durch orchestrale wie vokale Fülle an Artikulationsmustern) oder Neckisches und bajuwarisch Stammtischartiges der besonders akkuraten, famos stapfig-resoluten, aber nicht übertriebenen Herren mit den lieblichen, sternenschauerisch poetischen Damen.

Hinzu kamen zum dritten Teil neben weiter „lockenden“ Chorstimmen diejenigen der Knaben und Mädchen der Kölner Dommusik als gerade, andächtige, erwartungsmahnende Balzrufe der Jünglinge, die das solistische Fräulein mit dem in charmanter Zurückhaltung geübtem, dezentem, berührendem und in höchster Wollust aufblühenden Sopran Sarah Aristidous am Hofe sahen. Ihr machte Bariton Markus Werba eine Minne-Aufwartung mit lautmalerischer Komplementärhaftigkeit, die er in seinem qualitativ beeindruckenden Umfang, vor allem auch in extraregistraler Höhe, grandios einzusetzen wusste. Zudem gefiel er übergreifend in allen Parts mit einer kultivierten Ausgewogenheit, Wärme und Deutlichkeit. In übermäßige Höhen wurde zuvor auch der Tenor als brutzelnder Schwan geschickt, die Wolfgang Ablinger-Sperrhacke aber leider nicht sicher zu erreichen vermochte, wenngleich er ob des behandelten Tierschicksals köstlich jaulend mit den Flügeln schlug.

Ebenso bullig-martialisch, teils licht in intimerem, folkloristischem Idyll sowie mit Traditionen umgehend ist Lutosławskis Showpiece Konzert für Orchester, dem Măcelaru und WDRSO gleichsam in sich stimmig zur kompakten, einwandfrei zündenden Geltung verhalfen. Wirkmächtig eröffneten Pauke und Gran Cassa den über kleine Trommel und später Celesta metronomisierten Kopfsatz, in dem sich die Akzente und Energien des Orchesters auch sonst von äußerst einschneidender Affekt- und Effektivität zeigten. Über die Streicherschwärme und Fanfaren im disziplinhaft-feinfühligen wie spannungshaltenden Mittelsatz legte der Dirigent mit seinem leichtgängigen Koloss Lutosławskis Architektur letztlich lange Lunten zum Toccata-Geburtstagsfeuerwerk mit pfeifender Piccolo und Flöte sowie krachender Perkussion.

Alles uhrmäßig komprimierend und dramaturgisch eingeleitet hatte mit der „Miniatur der Zeit“ Zosha Di Castris Uraufführung Pentimento, die den Begriff wirklich verdiente. So blitzten im Stück für Streicher-, Bläser, Schlagzeugensemble und Harfe kleine Skizzen melodiöserer Tonalität in einer internationalen Collage von Atonalität mit dissonaten Haltetönen der Klarinette, bedrohlichem oder jazzigem Trommelfeuer, Bartókesk pizzicatierenden Bässen und spieltechnikpalettierenden Streichern als Retuschenkorrekturen auf. Sie feierten diesen Klangkörper gebührend so, wie sich die Musiker darin mit zupackendem Mut und Enthusiasmus selbst in Kontinuität und Weltendialog beehrten.

 

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