Nach dem bewegenden Konzert anlässlich des zwanzigjährigen Jubiläums des West-Eastern Divan Orchestra richtete sich Daniel Barenboim, der 1999 das Orchesterprojekt gegründet und dann mit seinem 2003 verstorbenen Freund Edward Said weiterentwickelt hatte, an seine jungen Musiker mit den Worten: „Danke für eine Freundschaft, die man nicht erwarten konnte.“ Damit brachte Barenboim auf den Punkt, was dieses wunderbare Projekt der Völkerverständigung in zwei Jahrzehnten erschaffen hat: Freundschaften zwischen Menschen, die sich aufgrund ihrer Ethnien eigentlich bitterlich hassen müssten. Und dies vielleicht auch einmal taten, abstrakt gesprochen. Der Kit dieser Freundschaften ist die Musik, und was läge deshalb näher, als anlässlich des Jubiläumskonzerts mit Anne-Sophie Mutter und Yo-Yo Ma zwei weitere befreundete Musiker von Weltrang auf die Bühne der Berliner Philharmonie zu holen, die dann auch kurzerhand an Ort und Stelle zu Ehrenmitgliedern des Orchesters ernannt wurden. Ohnehin hatte dieser Konzertabend viel Unerwartetes, viel Improvisiertes zu bieten.
Auf dem Programm stranden das Tripelkonzert von Ludwig van Beethoven und die Neunte Symphonie Bruckners. Größer könnten die Gegensätze dieser beiden Werke nicht sein, und sie waren gerade deshalb eine stimmige Wahl für ein Orchester, das zusammenringt, was vermeintlich nicht zusammengehört. Die jungen Musiker begannen unter dem aufmerksamen Dirigat Daniel Barenboims unmittelbar hochkonzentriert mit der Vorstellung des thematischen Materials dieses strahlenden C-Dur-Konzerts und bereiteten Yo-Yo Ma einen geschmeidigen Klangteppich, auf dem er das Hauptthema präsentieren konnte. Yo-Yo Ma nahm die Einladung dankend an und zeigte von Beginn an, warum er seit Jahrzehnten nicht mehr wegzudenken ist von der Spitze der internationalen Cello-Elite.
Äußerst souverän und klangschön formulierte er nicht nur die großen schwärmerischen Linien dieser Sinfonia Concertante für Orchester und Klaviertrio, sondern erquickte sich und die Zuschauer immer wieder durch offenbar spontane interpretatorische Einfälle in minimalen Rubati, koketten Phrasierungen und Klangfärbungen durch feinste Änderungen der Strichtechnik. Ma hatte dabei sichtlich diebische Freude, Gesten und Impulse des Orchesters und seiner Mitsolisten aufzunehmen seine eigenen musikalischen Morsezeichen zurückzusenden. Besonders mit Anne-Sophie Mutter stand er in ständigem Kontakt und verarbeitete blitzschnell und akkurat die Art, wie sie ihren Part interpretierte. Die drei Musiker hatten bei all ihrer Routine vermutlich das Stück im Vorfeld des Konzerts nicht allzu oft zu dritt probiert, und so wohnte ihrer Aufführung etwas Ephemeres, Improvisiertes inne, ohne dass dies grundsätzlich störte. Obschon man sich stellenweise mehr Homogenität und Abstimmung gewünscht hätte und auch intonatorisch nicht alles lupenrein war. Anne-Sophie Mutter spielte wie immer im Olymp der Klangschönheit und schleuderte im letzten Satz herrlich knusprige Spiccato-Salven in den Zuschauerraum, dass es eine wahre Freude war.
Im zweiten Teil des Konzerts folgte Bruckners unvollendete Symphonie Nr. 9 d-Moll. Unvollendet ist diese Symphonie nicht nur, da Bruckner während des Entstehungsvorgangs dahinschied, sondern besonders aufgrund der seltsam anmutenden im Nichts verendenden Motive und Themenfragmente. Besonders im ersten Satz lotet Bruckner das düstere d-Moll in allen orchestral-klanglichen Facetten aus, lässt auf monumentale Unisonso-Strecken unvermittelt schwärmerische romantische Melodien folgen und diese mitten im Anschwellen jäh abreißen, ohne je zu einem erlösenden Ende zu finden. Die Musiker des West-Eastern Divan Orchestra waren hervorragend präpariert und spielten technisch und klanglich makellos. Zwar fehlt noch die Homogenität der großen Traditionsorchester und auch Daniel Barenboim hatte in seiner Vorbereitung wohl eher Wert auf die großen musikalischen Linien als auf hoch-detaillierte Probenarbeit gelegt. Doch darüber sah man an diesem Abend gerne hinweg angesichts des ansteckenden Engagements der hochbegabten Musiker, die in ihren jungen Jahren vorleben, dass nur dann Großes entsteht, wenn man nicht immer tut, was andere von einem erwarten.