Es ist eigentlich kaum zu glauben, aber tatsächlich erlebte Kurt Weills Musical One Touch of Venus erst jetzt seine österreichische Erstaufführung, obwohl das Stück bereits im Jahr 1943 am Broadway Premiere hatte und dort auch überaus erfolgreich war. In einer deutschen Übersetzung wagte sich die Oper Graz nun an das Werk, das lose auf dem Pygmalion-Stoff basiert.

Dionne Wudu (Venus)
© Werner Kmetitsch

Der Kunstsammler Whitelaw Savory erwirbt eine Venus-Statue, sein Frisör Rodney Hatch steckt dieser einen Verlobungsring an den Finger und die Statue erwacht als Göttin Venus zum Leben. Venus setzt nun alles daran, Rodney für sich zu gewinnen, doch dieser ist bereits verlobt. Die Verlobte wird von der liebestollen Venus kurzerhand auf den Nordpol verbannt, was jedoch dazu führt, dass Rodney unter Mordverdacht steht und ins Gefängnis kommt. Venus befreit ihn, lässt die verschwundene Frau wieder auftauchen und eigentlich könnte sie nun mit Rodney ein gemeinsames Leben beginnen, wenn ihr nicht doch plötzlich vor einem spießigen Leben als Stepfordwife grausen würde und sie in den Olymp zurückkehrt.

Ivan Oreščanin (Whitelaw Savory), Ballett und Chor der Oper Graz
© Werner Kmetitsch

In dieser Handlung liegt durchaus schon ein Teil der Problematik des Abends, denn auf 2 1/2 Stunden ausgedehnt ist die Geschichte oftmals langatmig und von dramaturgischen Leerläufen geprägt. Verstärkt wurde dieser Effekt am Premierenabend noch durch die uninspirierte Inszenierung von Magdalena Fuchsberger. So gab es etliche verschenkte Momente – wie zum Beispiel die szenisch nicht einmal halbgar gelöste Verwandlung der Statue in die lebende Venus – und die bissigen, gesellschaftskritischen Untertöne des Textes wurden großteils völlig ignoriert. Stattdessen gab es eine Anspielung auf das Jahr der Uraufführung in Form von Panzern und Waffen, wobei nicht klar wurde, warum diese eigentlich plötzlich auf der Bühne auftauchen. Ebenso ungeklärt blieb die Szene, die den Abend eröffnete: der Vorhang ging dabei nur einen Spalt auf und eine Frau (sollte dies bereits die lebendige Venus sein?) sang in Armee-Uniform zwischen Soldaten ans Klavier gelehnt. Die in allerlei seltsame Kostüme gesteckten Damen und Herren des Balletts boten in der Choreographie von Alexander Novikov eine auffallend schwache Leistung, die von vielen Asynchronitäten und technischen Wacklern geprägt wurde. All das spielte sich in überdimensionierten Trümmern einer Statue und einem Metallgerüst ab; völlig auf der Strecke blieben dabei Glamourfaktor und Showeffekt, sodass sich nicht einmal ein Hauch von Broadwayfeeling einstellte.

Dionne Wudu (Venus), Christof Messner (Rodney Hatch) und Chor der Oper Graz
© Werner Kmetitsch

Dieser Eindruck setzte sich auch bei der Besetzung fort, denn obwohl Dionne Wudu als Venus nett und sympathisch wirkte, vermisste man doch divenhaftes Charisma und einnehmende Bühnenpräsenz. Stimmlich blieb sie ebenso blass, mit wenig Nuancen und einer Einheitsklangfarbe gestaltete sie die Rolle und stieß in den Höhen merklich an ihre Grenzen. An ihrer Seite musste Christof Messner in der Rolle des Rodney Hatch wohl auf Geheiß der Regisseurin nervig überdreht agieren; vokal konnte er jedoch keine Akzente setzen – einiges gelang ihm ganz nett, anderes wirkte beinahe atemlos bzw. flüchtete er sich ins Falsett, wodurch es zu hörbaren Registerbrüchen kam. Ivan Oreščanin fing als Whitelaw Savory zuerst ein bisschen verhalten an, sorgte dann aber insbesondere in der Erzählung vom Mörder Dr. Crippen für fesselndes Storytelling und Weill-Feeling im Stile der Dreigroschenoper. Der Molly Grant von Monika Staszak merkt man stimmlich die Operettenerfahrung (im positiven Sinne!) an, sie bot eine exzellente stimmliche Leistung wobei ihr Sopran nicht nur ebenmäßig geführt wird, sondern auch Charme und Reichtum an Klangfarben versprühte. Als ziemlich unlustig gezeichnete Karikaturen mussten Benjamin Ruffin und Ricardo Frenzel Baudisch als Stanley respektive Taxi Black versuchen, die Lacher auf ihre Seite zu bekommen; Regina Schörg und Corina Koller waren als Mrs. Kramer und deren Tochter Gloria vor allem übertrieben und schrill – nicht nur darstellerisch, sondern leider auch stimmlich.

Ivan Oreščanin (Whitelaw Savory) und Damen des Balletts der Oper Graz
© Werner Kmetitsch

Ein echter Lichtblick war aber glücklicherweise im Orchestergraben zu finden: Unter der Leitung von Marcus Merkel brachten die Grazer Philharmoniker Weills Musik zum Funkeln. Überaus spannend ist sie, diese Partitur, die wie ein Mix aus alter und neuer Lebensrealität des Komponisten wirkt – denn eleganter Broadwaysound à la Cole Porter und Reminiszenzen an die (Revue-)Operetten der 1920er Jahre treffen auf Anklänge des frühen Weill. Die Musiker begeisterten dabei bei den leichtfüßigen Swing-Elementen ebenso wie in den elegant zelebrierten Walzern und stellten ihre stilistische Vielseitigkeit unter Beweis. Ein echtes Highlight war vor allem der Einstieg nach der Pause mit dem Zwischenspiel, das musikalische Akkuratesse, spielerische Leichtigkeit und sprühenden Charme verband.

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