Die amerikanische Sopranistin und Stimmkünstlerin Claron McFadden ist mit ihrer Virtuosität und Vielseitigkeit seit Jahrzehnten eine feste Größe in der (niederländischen) zeitgenössischen Musik. Gestern Abend präsentierte McFadden zusammen mit dem russischen Klavierpoeten Alexander Melnikov ein unorthodox-mitreißendes Programm mit acht eindringlichen Kompositionen des 20. Jahrhunderts im Amsterdamer Muziekgebouw.

Claron McFadden
© Merlijn Doormernik

Cages Aria ist eine virtuose Erkundung der menschlichen Stimme und eine Abfolge verschiedenster Gesangsstile. McFadden wählte zu der zufälligen Folge von graphisch notierten Symbolen und farbigen Linien ihr eigenes musikalisches Material. In atemberaubender Geschwindigkeit feuerte sie dem Publikum diverse auditive Schnipsel aus 400 Jahren Musikgeschichte um die Ohren. Dies war ein Konzertbeginn wie ein sommerlicher Platzregen: überraschend heftig und ungemein erfrischend.

Danach standen Prokofjews Fünf Melodien, Op.35 auf dem Programm. Auf die ungemein farbige französisch-impressionistische Begleitung von Melnikov sang und summte McFadden diese ausdrucksstarken und eleganten Vokalisen einfach, fast bescheiden. Diese eher untypische Komposition Prokofjews wirkte trotz aller musikalischen Prachtentfaltung, als müssten die zwei Vollblutmusiker erst noch miteinander warm werden.

Nachdem Melnikov die Bühne wieder verlassen hatte, servierte McFadden dem sie schon jetzt auf Händen tragenden Publikum ein weiteres exponiertes Stimmensolo, Stripsody, notiert in Kritzeleien im Comicstil, von Cathy Berberian, für die Stücke von Cage und Berio geschrieben worden waren. McFadden begann mit einer sich auf die Brust schlagenden Tarzan-Imitation und imitierte in virtuos-rascher Folge menschliche Handlungen bis hin zu Batman-Zitaten. Das witzig-parodistische Stück endete mit nervigem Mückensäuseln und dem erlösenden Schlag einer pantomimischen Fliegenklatsche.

Mit Oliver Knussens Whitman Settings begaben sich Sängerin und Pianist in einen konventionelleren zeitgenössische Musik-Modus, wobei die Anmut der Poesie durch die präzise Ausführung der hochkomplizierten Musik in den Schatten gestellt wurde.

Nach der Pause kam McFadden in Gedanken versunken und vor sich hin murmelnd zurück auf die in ein warmes Rot getauchte Bühne. Dies als Auftakt zu Berios Sequenza III. McFadden schöpfte jetzt aus den Vollen ihrer 40-jährigen Bühnenerfahrung. Sie verzauberte mit Vokalextravaganz aus einem Guss, wobei ihrer Stimme selbst ein zu einem Dämpfer gekrümmte Hand vor dem Mund nichts anhaben konnte. Miles Davis ließ augenzwinkernd grüßen!

Erst jetzt konnte Melnikov, sicher einer der interessantesten und originellsten Konzertpianisten, den Flügel öffnen und in Improvisation und Fuge von Alfred Schnittke seine unglaublich leichthändige raffiniert-intelligente Klavierkraftprotzerei in Szene setzen. Es war ein atembenehmendes Schauspiel, ihn (viel zu kurz) so eindringlich spielen zu hören; er geht aber im nächsten Jahr mit diesem Stück in einem Solo Schnittke-Programm auf Tournee.

McFadden trug darauf nach kurzer Einleitung eine Gelegenheitskomposition von Erwin Schulhoff aus dem Jahre 1919 vor. Schulhoff, ein anarchistischer jüdischer Kommunist, schrieb auch dadaistische Kompositionen. Seine Sonata Erotica ist die Vokalisierung einer sexuellen Begegnung, mit kurzem Vor- und Nachspiel. Den unzweideutigen deutschen Text trug McFadden mit sehr charmantem Akzent vor und schloss ab mit: „Lass uns wieder vernünftig sein“.

Das letzte Werk an diesem kurzweilig kontrastreichen Abend war auch das bemerkenswerteste: George Crumbs Apparition war eine weitere Whitman-Vertonung. Melnikov strich hier fast ständig mit einer Hand im Klangraum des Klaviers über die Saiten. Selten habe ich diese Klangquelle so harmonisch und betörend klingen hören; McFadden war dazu eher Begleitung. Ihre ergreifend schöne Melodieführung und Melnikovs schimmernde Klavierfarben machten Crumbs Apparition zu einem unvergesslichen Hörerlebnis.

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