Der Aufstieg vom einfachen Mädchen zum gefeierten Star und schließlich der Sturz ins Verderben – Geschichten dieser Art faszinieren nicht nur moderne Klatschblätter, sondern inspirierten schon Jules Massenet zu seiner Oper Manon. An der Staatsoper Hamburg inszeniert David Bösch die Geschichte nun als Hochglanz-Thriller, der ebenso packend wie zeitlos ist.

Elsa Dreisig (Manon) und Ioan Hotea (Chevalier Des Grieux)
© Brinkhoff | Mögenburg

Die zwei Facetten von Manons Persönlichkeit, die zwischen aufrichtiger Liebe und Hang zum Luxus changiert, verdeutlicht der Regisseur dabei mit seiner Inszenierung. Im düsteren, schlichten Bühnenbild begegnen einander Manon und Des Grieux im ersten Akt, vor einem illuminierten Mini-Eiffelturm wird im zweiten Akt in einem bescheidenen Zimmer eine Take-away-Pizza verspeist. Als schillernder Star in einer glitzernden Welt aus Champagner und Vergnügen erscheint Manon nach der Trennung von Des Grieux, bevor schließlich beide Welten optisch zunehmend zu verschwimmen scheinen. Bösch setzt dabei nicht unbedingt auf Subtilität, sondern auf große Bühnengesten und einige interpretatorische Freiheiten. So erschießt Manon im vierten Akt Guillot nach einer Partie russischem Roulette und letztlich stirbt Manon nicht an Erschöpfung in Gefangenschaft, sondern wählt den Tod durch Gift und auch Des Grieux überlebt in Böschs Deutung den finalen Akt nicht. Die Personenregie ist detailliert und wird insbesondere von Elsa Dreisig in der Titelrolle nuanciert umgesetzt.

Elsa Dreisig (Manon)
© Brinkhoff | Mögenburg

Jede Geste, jeder Gesichtsausdruck ihrer Manon gibt Einblick in die Seelenlandschaft der Figur und verbindet sich mit der vokalen Interpretation zu einem idealen Gesamtbild. Dreisigs Sopran fließt wie Honig durch die Partie, schmiegt sich an den richtigen Stellen süß und schmeichelnd an die Töne und besitzt sowohl die nötige Leichtigkeit für die Koloraturen in “Je marche sur tous les chemins” als auch den dramatischen Aplomb im Duett mit Des Grieux. Ihr gelingt es dabei stets, durch den Einsatz der Farben in der Stimme den Charakter menschlich und sympathisch wirken zu lassen – selbst dann, wenn Manon dumme Entscheidungen trifft, klingt ihr Sopran so warm und verführerisch, dass man ihr einfach nicht böse sein kann. Stimmlich hat sie in Ioan Hoteas Chevalier Des Grieux einen ebenbürtigen Partner, sein hell timbrierter Tenor ist ebenso kraftvoll wie höhensicher, überzeugt aber auch in zurückhaltenden Passagen. Seine große Arie im dritten Akt gestaltete er mit viel Emphase und leuchtender Strahlkraft. Die gesangliche Leistung erweckte den Charakter vielschichtig zum Leben, seine schauspielerische Darstellung blieb dann und wann aber doch noch etwas blass.

Elsa Dreisig (Manon) und Ioan Hotea (Chevalier Des Grieux)
© Brinkhoff | Mögenburg

Neben dem zentralen Paar des Abends boten auch die kleineren Rollen hohe Qualität: Als Lescaut lieferte Björn Bürger mit virilem Bariton im positiven Sinne eine Lehrstunde in stimmlicher Machohaftigkeit, er kostete die Abgründe der Figur dabei voll aus und überzeugte mit ebenmäßigen Bögen. Mit dunkler Noblesse verströmte der Bass von Dimitry Ivanshchenko in der Rolle des Grafen Des Grieux unaufgeregte Autorität und Alexej Bogdanchikov ließ mit elegant geführter Stimme als Bretigny aufhorchen. Die drei halbseidenen Damen Pousette, Javotte und Rosette waren mit Elbenita Kajtazi, Narea Son und Ida Aldrian ausgezeichnet besetzt, die Stimmen harmonierten gut und versprühten kecken Charme.

Elsa Dreisig (Manon) und Dimitry Ivashchenko (Comte Des Grieux)
© Brinkhoff | Mögenburg

Unter der Leitung von Sebastien Rouland bot das ausgedünnte Orchester in der Übertragung einen erstaunlich vollen Klang. Elegant und delikat wurde Massenets Partitur an diesem Abend interpretiert: mal mit großen, aufwallenden Emotionen (etwa in der Saint-Sulpice-Szene) und mal mit schüchterner Zurückhaltung, beispielsweise beim ersten Aufeinandertreffen von Manon und Des Grieux.

Elsa Dreisig (Manon)
© Brinkhoff | Mögenburg

“C’est la vie” steht schließlich im letzten Akt in teilweise umgefallenen Leuchtbuchstaben geschrieben, während Manon Gift trinkt und Des Grieux sich die Pulsadern aufschneidet; ein starkes Schlussbild, dessen deprimierende Wirkung dadurch verstärkt wird, dass sich die Künstler coronabedingt nicht vor dem Vorhang wieder in sich selbst zurückverwandeln können, sodass das Publikum mit den tragisch gescheiterten Figuren und ein paar vergossenen Tränen alleine zurückbleibt.


Die Vorstellung wurde vom Stream auf OperaVision rezensiert.

*****