Die Oper sei ein kurioses Ding, das Orchester sei viel zu laut, man verstehe kein Wort von dem, was die Sänger von sich gäben – Clemens Krauss hat für Richard Strauss ein Libretto zu einer Art Metaoper verfasst, in der es nicht nur um die Grundelemente der Gattung Oper im Besonderen geht, sondern um das Theater im Allgemeinen, schließlich findet sich in dem Personal von Capriccio auch ein Theaterdirektor, der von Georg Zeppenfeld grandios mit einer Selbstgefälligkeit gestaltet wird, die bis an den Rand der Parodie reicht, ohne dass die Figur lächerlich wird, sondern stets glaubwürdig bleibt – eine darstellerische Meisterleistung an der Semperoper.
Dass das Orchester zu laut, die Textverständlichkeit gering sei, kann man indes dieser Aufführung nicht vorwerfen. Christian Thielemann gelang eine bewundernswerte Balance zwischen gelegentlich üppigem Straussorchesterklang und Wortdeklamation auf der Bühne. Hier hätte man die Untertitel gar nicht nötig gehabt. Damit traf er genau den Charakter dieser Oper, die von Strauss bezeichnenderweise als „Konversationsstück für Musik“ definiert wurde, für Musik wohlgemerkt, nicht mit Musik. Strauss lässt die Figuren zwar über weite Strecken über das Wesen von Musik räsonieren, aber bei aller Textrhetorik dieser Passagen sind sie doch zugleich purer Gesang. Wie er dieses Parlando durch die Musik gestaltet ist meisterhaft, und die Sänger greifen genau diese Mischung auf. Georg Zeppenfeld mit seinem klaren Bass bringt es fertig, Diskurse zu singen. Daniel Behle gestaltet den Musiker Flamand mit schwärmerischem Ton und singt zugleich theoretische Abhandlungen; sein Tenor hat in letzter Zeit an Strahlkraft und Glanz gewonnen und erinnert zuweilen an den legendären Fritz Wunderlich. Sein Kontrahent Olivier, der Vertreter des dichterischen Worts, wird von Nicolay Borchev eher nüchtern diskutierend dargeboten, wie es dem Charakter dieser Rolle entspricht. Und Camilla Nylund dürfte mit ihrem warmen, zugleich dramatischen Sopran die ideale Besetzung für die Rolle der Gräfin sein, die nachdenklich sinnierend sein kann, emotional auffahrend, aber auch distanziert ironisch.
Thielemann bildete für all das mit der Staatskapelle das ideale musikalische Fundament. Allein wie er mit bloßen Händen dirigierend das einleitende Sextett in der Luft modellierte und die Streicher das umsetzten, lässt einen den Kopf schütteln angesichts der Tatsache, dass die Kulturpolitik seinen Vertrag nicht verlängern will. Differenzierter, kammermusikalischer und zugleich klanglich üppiger kann man diese Partitur nicht mehr realisieren, die Musik blühte in jeder Sekunde neu auf.
Das freilich lässt sich von Jens-Daniel Herzogs Regie nicht unbedingt behaupten. Er hat vielleicht die Gattungsbezeichnung „Konversationsstück“ allzu wörtlich genommen, denn über weite Strecken stehen die Figuren nur herum und deklamieren ihre Positionen; dabei kommen hier gravierende Uneinigkeiten zur Sprache, die in Streit ausarten. Davon merkt man den Figuren hier kaum etwas an. Es sind Gäste eines gepflegten Salons. Zudem geht es nicht nur um die Diskussionen über die Kunst, Olivier und Flamand sind ja unsterblich in die Gräfin verliebt, was sich nur gelegentlich im Versuch eines Kusses oder einer Umarmung andeutet. Erotische Spannung, die fast ständig zwischen den Zeilen bzw. Noten präsent ist, fehlt hier völlig.
Dabei ist Herzogs Grundanlage raffiniert. Strauss schrieb das Stück ja in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs, siedelte es aber im Rokoko an. Man hat ihm das als Weltflucht angelastet. Herzog lässt das Stück zur Zeit der Entstehung spielen, also Anfang der Vierzigerjahre. Die Vertreter des Theaters, die das Schloss der Gräfin besuchen, wirken wie Flüchtlinge, Flamand wie ein Soldat auf Fronturlaub. Doch weiter wird dieser Aspekt nicht ausgeführt.
Herzog greift auch die Metaebene dieser Oper auf: Zu Beginn sehen wir durch ein Fenster im Wohnzimmer eines Wohnhauses eine Figur in Rokokokleid – die Gräfin in ihrer Rolle. In der Opernhandlung selbst trägt sie ein vornehmes Kleid der Entstehungszeit. Erst am Ende wird sie zur Rokokogräfin und blättert in einer Partitur – der zu Capriccio, die sie am Ende ihrem Double überreicht. Doch auch dieser Aspekt bleibt Andeutung.
Was habe in der Oper Vorrang – la musica oder le parole, wird in Capriccio gefragt, die Frage bleibt offen. Für diese Aufführung ist die Antwort einfach: prima la musica, dopo la scena, als letztes die Inszenierung.
Die Vorstellung wurde vom Stream der Semperoper Dresden rezensiert.