Der Anfang gehört dem Chor: An der untersten Hörgrenze und ohne Ausdruck deklamieren die etwa hundert Sängerinnen und Sänger die lateinischen Worte „Requiem aeternam“, derweil die Streichinstrumente des Orchesters für etwas Farbe sorgen. Es folgt, im Forte und a cappella, der trotzige Lobgesang „Te decet hymnus“, der wiederum in die Totenstimmung des Anfangs mündet. Erst beim „Kyrie“-Ruf erhebt sich der Solotenor und schmettert seine Worte in bester Opernmanier heraus.   

Bei Aufführungsbesprechungen von Giuseppe Verdis Messa da Requiem erwähnen die Kritiker den mitwirkenden Chor meistens nur am Rande. Im Fall des Gemischten Chors Zürich wäre dies aber ungerecht. Denn Der Gemischte Chor trat bei den beiden Karwochen-Konzerten mit dem Tonhalle-Orchester in der Tonhalle Zürich nämlich als Veranstalter auf. Ohne Gemischten Chor also kein Verdi-Requiem! Der Amateurverein wurde 1863 ins Leben gerufen und gehörte zu den Gründerinstitutionen der Tonhalle-Gesellschaft. Nach wie vor zählt er zu den Grundfesten des bürgerlichen Konzertlebens in Zürich. Seit 1996 steht dem Chor Joachim Krause als Dirigent vor. 

Die Auswahl des Solistenquartetts richtet sich nach den finanziellen Möglichkeiten des Veranstalters sowie nach der beabsichtigten Interpretation des Dirigenten. Angesichts der Tatsache, dass die oberste Liga der internationalen Stars außer Reichweite liegt, konnten für die Konzerte vom Gründonnerstag und vom Karfreitag vier interessante und teilweise erfolgversprechende Solisten vorgestellt werden. Sie alle haben ihren künstlerischen Schwerpunkt im Operngesang. Obwohl Krause im Programmheft „die Frage nach der Stellung des Requiems als theatralische Kirchenmusik oder liturgisch verbrämtes Musiktheater“ als „eine Scheinproblematik“ bezeichnet, steht der Dirigent mit seiner Deutung doch klar auf der Opernseite. Und eine rechte Portion Italianità ist auch dabei, wenngleich der etwas spröde wirkende Deutsche die Zügel selten fahren lässt. 

Eine Entdeckung für Zürich ist die junge lettische Sopranistin Margarita Vilsone, die zurzeit in Gießen als Floria Tosca zu hören ist. Für ihren Paradeauftritt musste sie sich bis zum Schlusssatz Libera me, der Keimzelle des ganzen Werks, gedulden. Was sie da bei dieser Vergegenwärtigung des Weltgerichts bot, war schlicht ergreifend. Wie in einer Opernszene stellte sie die Angst der Kreatur bald in unheimlichem Rezitieren, bald in lautem Herausschreien dar und gab dabei emotional alles. Ihr zur Seite stand die niederländische Mezzosopranistin Deirdre Angenent, die man im Satz Liber scriptus als Gestalterin mit typischem Mezzo-Timbre, unglaublichem Tonumfang und, im Vergleich zur Sopranistin, weicherer Stimme kennen lernte. Sehr schön harmonierten die beiden Frauen in den Unisono-Partien des Agnus Dei. Dass sie beim zweiten Einsatz der psalmodierenden Melodie falsch einsetzten und dadurch das musikalische Gefüge für einige Takte aus dem Lot brachten, konnte man verschmerzen. 

Der südkoreanische Tenor Jason Kim, einst Mitglied des Internationalen Opernstudios des Opernhauses Zürich, hinterließ gemischte Eindrücke. Im Satz Ingemisco zeigte er eine klar konturierende, aber bei den Forte-Stellen in der Höhe unangenehm harte Stimme. Und beim Hostias hätte man sich einen noch entrückteren Ausdruck vorstellen können. Beim Bass Tobias Schabel, gegenwärtig Ensemblemitglied der Oper Bonn, kam das Mors stupebit etwas harmlos heraus, beim Confutatis maledictis drehte er dann mächtig auf. Und in den Ensembles mischte sich seine Stimme sehr gut mit den übrigen.           

Das Tonhalle-Orchester, bei den Streichern mit der zweiten Garde angetreten, sah seine Mitwirkung mitnichten als eine Pflichtübung an. Zwischen den Musikern und dem Dirigenten herrschte ein sehr gutes Einvernehmen – man kennt sich ja schon lange. Gerade die Blechbläser steigerten sich in den berühmten Weltgerichts-Szenen zur Bestform. Der Gemischte Chor zeigte sich als leistungsfähiger, rein intonierender und in der Lautstärke flexibler Chor. Die gewaltigen Entfesselungen im Dies irae und im Tuba mirum ließen dynamisch keine Wünsche offen. Die heikle doppelchörige Fuge im Sanctus gelang rhythmisch gut, hätte aber deklamatorisch noch plastischer hervortreten können. Auch das Schlusswort gehörte dem Chor: „Libera me“ raunte er ersterbend. So traurig hat C-Dur noch selten geklungen. Trost wäre anders. 

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