Viel „Großes“ wurde in das Programm der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen gepackt, das unter ihrem künstlerischen Leiter Paavo Järvi und mit Solist Christian Tetzlaff selbiges zu werden versprach: Schuberts Achte und Brahms' Violinkonzert. Die Verbindung dieser Komponisten, noch dazu dieser verdächtig bekannten, zeitlich ausgedehnteren Brocken, liegt dabei auf der Hand.
Brahms betätigte sich als größter Sammler, Improvisateur, Arrangeur und Herausgeber von Schuberts Werken, der sich im Spannungsfeld von historischer Rückschau und moderner Innovation befand, ähnlich Schubert in seiner durchlebten Zeit der vorherigen Bedeutung und Wandlung der Musikepochen. Spannende, fließende Grenzen wie gemacht also für das Orchester, das auf mordernen Instrumenten – klassisch meistens abgesehen von den historischen Trompeten, die diesmal allerdings daheim gelassen wurden –, aber bei Spieltechniken sowie Ensemblegröße und gewählter fester Aufstellung im Rahmen der informierten Aufführungspraxis zu Werke geht. Konnten Anspruch und Erwartung an etwas „Großes“ durchgängig erfüllt werden?
Das Programmheft widmete sich der Kritik, die Brahms' Konzert für Violine und Orchester seit dessen Uraufführung Neujahr 1879 erhielt; bemängelnde Kritik, dass das Stück keine herausgehobene, zirkusreife Präsentation des eigentlichen Soloinstruments beinhaltete. Ironischer- und gerechterweise befiel einem in der Interpretation der Kammerphilharmonie das geradezu zurechtrückende Gefühl, sich in einer Manege zu befinden. Denn mit dem Aufgriff des Themas des ersten Satzes, den das warme Holz, besonders Bettina Wilds tonangebende Flöte vor dem scheinwerferstrahlenden Tutti vorgegeben hatte, tänzelte Tetzlaff mit körperlich unterstützender Wiege vibratoweich durch die Höhen der E-Saite. Den zur abwechslungsreichen Unterhaltung zwingenden Kontrast steuerten anfangs die vibratolosen Doppelgriffe bei, die in der schroffen Rauheit ebenso zu den handgestopften Hörnern passten, um den von Brahms geschätzten Naturklang der älteren Instrumente zu erzeugen. Und je aufgewühlter, begehrlicher und energischer sich diese Teile und Partner – mit Blech und Pauken, vibrierte Doppelgriffe hielten ketzerisch Einzug in die lyrisch-melodiösen Passagen – verbanden, desto stärker zeichnete sich das Bild eines Clowns vor den Augen ab, der das Rundell betreten hatte. Tetzlaff kämpfte gegen die Tragik und verstummende Einsamkeit eines Künstlers an, der im Rampenlicht nichts lieber tut, als für den Moment eine leuchtend-heile Welt zu erschaffen. Aus jedem Anlauf und der vermittelnden Dynamik sowie variierten Phrasierung gleich den lebendigen Farben des Gesichts, der Mimik und Kostümierung eines Clowns schien eine neue Inspiration gezogen zu werden, die sagte: ich kann nicht anders, als zu verzaubern. So schaffte Tetzlaff es, Freude zu bereiten in den tragischkomischen Läufen der Kadenz, die mitfühlen ließen und faszinierten.
Und dieses Jonglieren geschah äußerst schnell, wie übrigens alle Sätze. Demnach von Järvi ganz nach dem Tempo- und Flüssigkeitsgeschmack Brahms' Freundes, Uraufführungssolisten und Mitkompositeurs Joseph Joachim angegangen. Instrumentenmäßig zeugten von diesem vorgestellten Geist ebenfalls die von Brahms bevorzugteren und noch mitgekommenen härteren Paukenschlägel. Balancetechnisch war die Manege bestens ausgeleuchtet durch die kammertypische kleinere Besetzung und die räumlich wie historisch optimale antiphone Disposition. Das Orchester lebte getreu ihrem Markenzeichen alles mit, sodass das Stimmige des Ganzen noch runder anmutete und dazu verhalf, die negative Kritik endgültig ins Reich des Unverstandenen und der Unkenntnis zu verbannen. Stattdessen flog das Ensemble in symphonischer Vernetzung in die weiteren beiden Sätze: im berüchtigten Adagio mit der Solo-Oboe Rodrigo Blumenstocks, abermals der Flöte mit Flageolett-Effekten oder bei den Streichern mit sul-Leidenschaft, die Tetzlaff solistisch in atmende, existenzielle Verwirklichung samt tastender Zweifel packte. Mit den beglückenden Melodien und ihrem Zusammenspiel schimmerte die getragene gute Laune durch, die sich Bahn brechen sollte im trickreichen Finale. Dort lachte das Holz schallend mit emporgehobenen Klarinetten, die Streicher sprudelten herzhaft-befreiend frisch, alle kugelten sich mit kräftigen Akzenten auf dem Boden von den virtuosen Figuren Tetzlaffs.
In Schuberts großer C-Dur-Symphonie erzählten die Kammerphilharmoniker und Järvi die Geschichte des Clowns als Tänzer, Tragiker und fröhlicher Unterhalter furios weiter. Das Holz, allen voran die beweglichen Klarinetten, zudem die Fagotte, lockten im Kopfsatz mit freudigem Schunkeln zum Mitfeiern – diesmal zugegeben mehr im Heurigen als Manege –, das festlich angefacht wurde zu einem einfordernden Stampfen von dreimaligen Wellen des durch die Posaunen kernig aufgestockten Blechs. Gleichzeitig vermutete man hier bereits in den Einwürfen der Hörner und den präsenten Kontrabässen die Tragik am frühen Tod Schuberts aufflackern zu hören, an die dieser Tage zum einhundertneunzigsten Male gedacht wurde. Umso tragischer bei der Reife und Voraussicht, die er besaß und Järvi mit durchdachten Details in Akzentuierung und Phrasierung herausbrachte. So natürlich jedoch auch die Tragik des Clowns, der mit wunderbaren Holzbläsern und feinen Streichern im Andante con moto zu seiner verspielten punktierten Seite findet, nachdem beinahe verzweifelnd wütende Expressionen und melodisch geschwungene Choräle an ihr abruptes Ende kamen. Hüpfte paradox kompakt-schnörkellos wie schnörkelhaft-klar ein wirkliches Scherzo spritzig schnell und mit eingezogener Legato-Bewandnis durch die Lüfte, fuhr im Allegro vivace die große Kapelle für die beste Unterhaltung auf. Mit fulminantem Schwung aus der nicht einfachen Mischung filigraner Streicherpunktierung und festlicher Leichtigkeit wie Größe schenkte die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen ein ums andere Mal ein breites Lächeln. Ja, sie erfüllten durch die Bank „Großes“!