Zwei Werke bestimmen das Sujet der klassischen Oper, wie wir sie kennen, wie keine anderen: Monteverdis und Glucks Orfeo. Zwischen Anbeginn oder tüchtig reformatorischen Anstupsens bis zum neuerlichen Prozess lagen circa 150 Jahre und mit ihnen eine Fassung des beliebten Stoffes um die Tragik zwischen Orpheus und Eurydice, die stets unbespielter bleibt: Telemanns 1726 konzertant uraufgeführtes Gänsemarkt-Drama Die wunderbare Beständigkeit der Liebe. Die Version des Komponisten erweitert die Handlung nicht allein um eine unglücklich nebenbuhlerische Person und damit zwei zusätzliche Verstorbene, sondern kommt gleich in dessen Sprachen- und Stilgewandtheit in einer einzigen Bündelung in Deutsch, Italienisch und Französisch daher. René Jacobs nahm sie 1996 als Erster auf und reaktivierte sie nun mit dem B'Rock Orchestra zu einem weiteren persönlichen silbernen Jubiläum. Und – das sei hier verraten – zum endlich live erlebten Erfüllen meines musikalischen Traums, war gerade dieses Stück in jener Einspielung mein erster Berührungspunkt mit Telemanns Opern.
Erwähnte Frau „zu viel“ ist Orasia, die verwitwete Königin des antiken Tatorts Thrakien, die ihrerseits natürlich Eurydice als das störende fünfte Rad am Wagen ihrer Vorstellung der Liebeszukunft wahrnimmt. So muss Orpheus' jüngst Vermählte beiseite geschafft werden, damit der Weg frei ist für Orasias Trost auf dem ausgemalten Hirngespinst ins Herz des Zurückgebliebenen. Das wahre Turtelpaar in einem Garten ausgekundschaftet, schickt Orasia also Schlangen los, von der eine den Giftzahn in Eurydices Hacken haut. Cephisa, Eurydices Freundin, erschrickt, auch vom – ganz nebenbei erklärten – bebenden Zuneigungsgefühl Eurimedes', Orpheus' Kumpel. Ausnahmesituation pur. Doch ist diese ja mit dem Versterben Eurydices erst der Anfang des finalen Fehlgehens Orpheus' Rückholaktion. Darf er in der ursprünglichen Geschichte danach seine Qualen noch an der Seite Apolls lindern, muss er den kurzen Prozess Orasias Attentäterinnen erfahren, nachdem sie selbst dessen durch Geist Ascalax genährten Hass auf sie nicht ertragen konnte. Allerdings kann auch die Täterin mit ihren späteren Schuldgefühlen nicht länger auf der Erde existieren.
Diesen Boden vom und zum abgedunkelten Herrschaftsgebiet Plutos tut sich bei Jacobs besetzungspraktischer Ausstaffierung dieser von ihm selbst und Benoît de Leersnyder halbszenisch eingerichteten (etwas gekürzten, abgeänderten) Seltenheit durch das leise Grummeln oder laute Poltern der Trommeln auf. Diese waren neben Pauken, Tambourin, Kastagnetten und Donnerblech ein Teil des Schlagwerks B'Rocks, um die Telemannischen Farben und Bilder in der verlässlich inspirierenden Gabe des Dirigenten für Bühne, Dramatik, Timing, Effekte und Affektsprache zum Vorschein zu bringen.
Dass Jacobs kurz selbst in dieses Bühnengeschehen eingebunden wurde, ist genauso wiederkehrender Gag wie das von ihm bestens beherrschte Gleichwertigerklären der Rezitative, die voller Theatralik und verknüpfender Einfälle jeden äußerlichen Secco-Aufdruck in den See der einhaltenden Spannung und Veredelung verwandeln. Streicher, reiches Continuo, Oboen (das Solo als Orpheus' Töne in der Unterwelt leider intonationsbelastet), Blockflöte und Hörner (letztere für Ouvertüre und Schluss-Sarabande zu Orasias Tod – eine Sinfonia aus Telemanns späterem Miriways) bildeten ansonsten orchestral die knackigen, einfühlsamen, jedenfalls willfährigen und fähigen Umsetzungsklänge Jacobs' detailverliebt dynamisch sowie akzent- und phrasierungsgestaltend ovationsbeschenkter Arbeit.
Unverwechselbar ist auch Jacobs' barocker und besonders Telemannischer Stil durch das bewusst einjaulend lautmalerische Ansetzen der von den Gefühlen übermannten Bösewichtin, der hier eindeutig die Hauptrolle zugewiesen ist und bei Kateryna Kasper eine Klasse für sich war. Sie stoß ihre sentimentalen Höhen der verständlichen Mord-Motivik, Zerrissenheit und Verzweiflung, mehr noch ihre Abgründe des berechnenden Anstiftens zum Töten eben in dieser speziellen Artikulation und aller auf sich ziehender, bestimmender Präsenz hervorragend aus und wirbelte im liebeskranken, divenhaften, kontraststarken, wahnsinnig geläufigen Umsichschlagen in beeindruckendem Registerumfang genauso ins gerechte Verderben der Orasia wie dadurch auf jeden Zettel eines Besetzers oder Agenten. Mit Ismene und damit dem leicht raueren, härteren Sopran Salomé Hallers stand ihr eine royale Beraterin zur Seite, die mit ihrer Schärfe im versuchten Abbringen vom Plan Gehör bei Orasia finden möchte, aber es sich nicht mit der unberechenbaren Arbeitgeberin verscherzen mag. Als Anführerin des hysterisch-verrückt hexenkreischenden Killerkommandos – der kleine, immer tadellos erquickende, ergiebige, mal schunkelnde B'Rock Choir, aufgefüllt um die Solisten – durfte Haller schließlich über die Strenge schlagen.
Streng ist ja für gewöhnlich zweiter Vorname Plutos, den Christian Immler als sonnenbebrillter Vorsteher seines Matrix-beruchten Seelenqualenlagers mit beflissener, kerniger Demonstration des teuflischen Wesens spielte, für den Ascalax mit Benno Schachtners leichtem, gewieftem Counter als der Nachschub bringende Knopf im Ohr fungierte. Er führte sowohl Eurydice, von Mirella Hagens schlankerem, dafür durchgängig vibratoverliebtem, höhefreudigem Sopran besungen, hinab als er auch Orpheus den Weg zurück nach dem Scheitern versagte.
Krešimir Stražanac füllte den Titel der aufrichtigen Beständigkeit der Liebe mit ebensolchem warmen, reizvollen Bass, der zunächst im Baritonalen winzige phrasierungstechnische Hakler hatte, sich dann auch dort auf der gutliegenden, todessehnsüchtigen Höhe der Empfindung befand, jeden Ort mit seinem Ständchen zum schöneren Platz zu machen. Die Leere darin nicht ersetzen konnte ihm der treusorgende, den Wert der Freundschaft hochhaltene Cowboy Eurimedes, der vom kecken Sopran Gunta Smirnovas Cephisa in Telemanns aus der Pastorelle bekannten Abblitzironie eine Abfuhr erhielt, dank David Fischers geschmeidiger, kräftiger, frischer Art jedoch – gleich Jacobs, diese Oper und das Orpheus-Ensemble – in die Herzen des Publikums vordrang.