Die Mitglieder der niederländischen Tanzgesellschaften NDT 1 und NDT 2 stellen jedes Jahr ein Programm mit eigenen Choreographien unter dem Namen Switch zusammen. Die Tänzerinnen und Tänzer kreieren nicht nur kleine Ballette, sondern sind auch jeweils für die Produktion, das Fundraising, das Marketing und die Kommunikation zuständig. Der Erlös dieser jedes Mal aufs Neue einzigartigen Benefizvorstellung ging dieses Jahr an die Wohltätigkeitsorganisation ASKV Steunpunt Vluchtelingen in Amsterdam, die Flüchtlingen, die alle Rechtsmittel in den Niederlanden ausgeschöpft haben, Rechtshilfe und soziale Unterstützung bietet.

14 Stücke standen auf dem übervollen Programmzettel und schon eine Viertelstunde vor Beginn zeigte ein begnadeter Trickfußballer unermüdlich und entspannt lächelnd auf der leeren Bühne seine akrobatischen Künste.

Charlie Skuy hatte für sich und Emmitt Cawley mit Kevin als Auftakt dieses Marathonabends ein bemerkenswertes Tanzstück bedacht, in dessen lockeren Bewegungsabläufen vor allem die Hände und Arme fantasievolle Figuren in die Luft zeichneten, die ab und zu entfernt an Taubstummensprache erinnerten, vor allem aber eine Ode an die Schönheit der fließenden Körperlichkeit des synchronen Ausdruckstanzes darstellte.

In Samuel van der Veer’s Rude Awakening & Undercurrents saßen die jungen Tänzer Nova Valkenhof und Ivo Mateus erst hoch oben auf zwei Hochsitzen auf der nun nach hinten offenen Bühne. Zu dieser technisch kalten Umgebung passte die raue Sphärenmusik von Van der Veer selbst. Die parallel frontal zum Publikum ausgeführten Tanzschritte waren jugendlich modern und wirkten ansteckend, wobei der fehlende letzte Funke an Selbstverständlichkeit und Vertrauen nur wenig ins Gewicht fiel. Für das abrupte offene Ende wünschte man dem Stück jedoch gern noch eine zweite Chance.

Für das erste Stück nach der Pause hatte sich Boston Gallacher mit Rode Hard & Put Away Wet einen kreativ-komischen Sketch ausgedacht: Ort der Handlung ist das Beschwerdebüro für kreativen Tanz, „Abteilung für die Erzeugung von Tänzen mit natürlicher Intelligenz“, bei dem ein imaginärer Anrufer die laufende Vorstellung bemängelt. In bester bürokratischer Manier wurde die Beschwerde Punkt für Punkt in ein Formblatt eingetragen und danach mit einem extravagant verspielten Solo von Sophie Whittome vergütet. Das Ganze war nicht nur urkomisch, sondern auch überrumpelnd kreativ. Schade nur, dass das abschließende elegant-erdige Solo von Surimu Fukushi im Schatten der grellen Dias etwas unterging.

Hinter dem Baum, im hinteren Teil des Waldes von und mit Tess Voelker hatte ebenso einen interessanten Text als Ausgangslage, nämlich Angelo Badalamentis Interview zur Netflixserie Twin Peaks. Zu der Beschreibung des Entstehens einer bestimmten Szene zeitgleich mit der Musik tanzte Voelker eindrucksvoll das Erzählte, dabei kongenial die Vorhänge als Kameralinse einsetzend. Zur Gymnopédie Nr. 1 von Erik Satie war der zweite Teil ein warmes Wechselbad von seidenweichen Schwingungen und akrobatischen Moves. Im Programmheft stand: „Ich widme diesen Tanz der Weisheit der Elstern, der Freiheit der Improvisation und meiner Mama, die in Reihe 3 sitzt.“

Der absolute Höhepunkt des Abends war kurz vor Schluss das berührende Heavyweight Champions von Fay van Baar. Das ideal auf einander abgestimmten Tänzerpaar Genevieve O’Keeffe und Scott Fowler erzählte die Geschichte einer langsamen Annäherung: Nachdem er sie erst auf dunkler Bühne mit einem Scheinwerfer auf Rollen bedrängend verfolgt, wirft sie ihm ihre Boxhandschuhe zu, mit denen er ihr in der Folge vergeblich rhythmisch-athletisch zu imponieren versucht. Erst als er sein selbstverliebtes Machospielen aufgibt, gelingt es ihm, ihr Vertrauen zu gewinnen, was langsam in kleinen Gesten sichtbar wird, die sie ihm verlegen abschauend kopiert. Zur melancholischen Banjomusik von Waveland von Noam Pikelny entstand so ein Pas de deux, in dem selbst seine übertriebenen Boxbewegungen zurückkamen, diesmal jedoch gipfelnd in ein verspieltes, ineinander verflochtenes Miteinander. Mit dieser äußerst gelungenen zutiefst ehrlich getanzten Choreographie wurde das Publikum fürs lange Aushalten mehr als belohnt.

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