So kurz nach Ballsaison und Faschingsmaskierung und zu Beginn der besinnlichen Fastenzeit: sind es die betörend schönen Töne einer Liebeserklärung oder doch schmerzliche Abschiedsgedanken, die Jakub Hrůšas Programm mit den Bamberger Symphonikern wie ein roter Faden durchziehen? Beides ist wohl angelegt an diesem Konzertabend, der mit dem bedeutungsschweren Adagietto aus Gustav Mahlers Fünfter Symphonie begann, das 1901 von Mahlers aufblühender Liebe zu seiner späteren Frau Alma inspiriert wurde: eine musikalische Liebeserklärung mit Streichern und Harfe, mit der Hrůša zur Eröffnung in bewegt drängendem Puls und doch in Wellen schwelgerischer Entrückung die Hörerschar einstimmte.
Hrůša und die amerikanische Sopranistin Corinne Winters waren in Barrie Koskys umjubelter Neuinszenierung von Janáčeks Kátja Kabanová bei den letztjährigen Salzburger Festspielen die herausragenden musikalischen Exponenten. Umso mehr Hörfreude für die Bamberger Konzertbesucher, dass Winters kurzfristig die Sopranpartie in Richard Strauss’ Vier letzte Lieder übernehmen konnte. Strauss hatte diese Lieder, auf Texte von Heine und Eichendorff, in seinen letzten Lebensjahren geschrieben; erst nach seinem Tod wurden sie 1950 zum Zyklus gebunden und uraufgeführt. Es sind Lieder intimer Gefühle, geprägt vom Abschiednehmen: vom Rausch an Blumenduft und Vogelsang im Frühling, vom sommerlichen Gartentraum, vom Handwerk am Tag, vor den Gedanken an den Tod im Abendrot.
An Stelle feenhaft leichten Klangzaubers wählte Hrůša einen eher durchschlagkräftig expressiven Auftakt im Frühling, nahm Gleißen und Übergießen von Licht sehr direkt. Winters, in ihrem gelungenen Debüt mit dem Liederzyklus, konnte sich mit reicher wohl-timbrierter Sopranstimme herausheben, Strauss’ freudige Erinnerungen strahlen lassen. Beim dramatischen Grundcharakter blieb es auch in den folgenden Heine-Liedern, bei denen Sehnen oder Schlummern weniger überzeugte und Winters, mit ausgiebigem Vibrato angereichert und oft ohne sprachliche Prägnanz, dem Text nur wenig Atmosphäre und Eleganz geben konnte. Diese kamen bei den zauberhaften Instrumentalsoli, wie fortgeführte Strophen innerhalb der Lieder, viel elektrisierender zum Ausdruck: märchenhaft Andreas Kreuzhubers Hornsolo sowie Bart Vandenbogaerdes Violinschweben. Zartere Orchesterfarben, mehr Zurückhaltung und Ruhe strahlte schließlich das vierte Lied aus, in dem auch Winters in bewegender Klangrede brillierte, schwirrende Flötentriller (herrlich Daniela Koch und Ulrich Biersack) dem Im Abendrot aufsteigenden Lerchenpaar nachsinnen ließen.
Josef Suk gehörte zur böhmischen Komponisten-Generation, die bei Antonín Dvořák in Prag studiert hatte; in dieser Zeit hat Suk auch Dvořáks Tochter Otylka kennengelernt und 1898 geheiratet. Seine Kompositionen liegen hauptsächlich im sinfonischen Bereich und der Kammermusik. Als Dvořák 1904 starb, konzipierte Suk ein großformatiges Orchesterwerk, das eigene Stücke zitiert und Themen aus Dvořáks Œuvre aufgreift. Nur acht Monate nach dem Tod des Schwiegervaters starb überraschend auch Otylka, im Alter von nur 27 Jahren an einer Herzkrankheit. „Asrael“ wird zum Denkmal persönlicher Trauer: im islamischen Glauben ist Asrael der Engel des Todes, der die Seelen der Verstorbenen ins Paradies geleitet. Suk erweitert die drei fast fertiggestellten Sätze um zwei intensive Adagios, die den neuerlichen Schmerz des Verlusts der Ehefrau spüren lassen sowie in der fast trotzigen Kraftanstrengung zur Überwindung des Traumas eine persönliche Rettung suchen.
Für Jakub Hrůša ist die Beschäftigung mit diesem monumentalen, gut einstündigen Werk seit langem ein persönliches Anliegen. Erst recht am Pult der Bamberger, deren musikalische Wurzeln in der Prager Musiktradition liegen, will er für dieses in Vergessenheit geratene Opus und seinen Schöpfer eine Lanze brechen. Ganz ohne Partitur, die komplexe Struktur in klarer Dramaturgie im Kopf: so gestaltete er voller Eifer und Leidenschaft mit weit ausholender Gestik, dem Schwung von energischen Körperdrehungen, aber auch aufs Detail fokussierten Einsätzen die spätromantischen Gefühlswelten zwischen Erinnerungen und Tod, innerem Kampf und Verklärung. Ein gleich am Anfang vorgestelltes Schicksals-Thema durchläuft immense Dynamikhübe: wird in düsterem Adagio von immer neuen solistischen Instrumentalgruppierungen umspielt, mit scharfen Salven von Becken und Trommel zum Fortissimo aufgepeitscht, in einer dämonischen Fuge zum Aufschrei aus schmerzender Pein. Mit den wie im Rausch eines Totentanzes faszinierend aufspielenden Symphonikern gelang Hrůša ein glühendes Bekenntnis zu diesem Meisterwerk. Am Ende brachte die Berührung durch Engel Asrael eine grundlegende Wandlung, friedliche Atmosphäre: verklärte Ruhe in langen Akkordflächen der Streicher.