Wenn das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin Strawinskys Violinkonzert aufführt, erklingt ein Stück Orchestergeschichte; denn der Komponist höchstpersönlich dirigierte 1931 die Uraufführung des Werkes in Berlin mit dem damaligen Funkorchester. Solist war seinerzeit der Widmungsträger Samuil Dushkin. Knapp hudert Jahre später bringen es Vladimir Jurowski und Frank Peter Zimmermann zu Gehör.
Eröffnet wurde das Konzert aber mit einer Aufführung von Strawinskys Circus-Polka, in der die Schwerfälligkeit stampfender Rhythmen und die Grazie anmutiger Bewegungen einander die Waage hielten. Wiederholt ließ Jurowski den Rhythmus dieser kompositorischen Farce gekonnt aus dem Takt geraten. In der Coda des kurzen Stückes trampelte das Orchester auf den Floskeln aus Schuberts Militärmarsch D-Dur wie der Elefant in der Manege.
Mit dem Violinkonzert wurde es bedeutend ernster im Saal. Frank Peter Zimmermann ist insofern geradezu prädestiniert für eine Aufführung dieses Werkes, als er sich jede Zurschaustellung seiner geigerischen Fähigkeiten in etwa so versagte wie der Komponist dem Solopart seines Violinkonzerts, das mehr als eine Kammermusik mit obligater Geige komponiert worden ist. Mit nahezu jedem Instrument des Orchesters führte der Solist im Laufe des Werkes einen Dialog und wurde dabei beinahe zu einem Musiker, der im Orchester spielt. Zimmermann erfüllte Strawinsky den Wunsch, zu der eröffnenden Prozession in den Bläsern, der Toccata, die Saiten seines Instruments mehr zu kratzen als zu streichen. Im Zentrum erklangen zwei instrumentale Arien, deren Gesang Zimmermann so elegant wie zurückhaltend vortrug, dass Romantizismen gar keine Gelegenheit dazu hatten, sich klammheimlich doch auszubreiten. Im letzten Satz, in dem der Solist in die Rolle eines Arlecchinos schlüpfte, wurde, dem Satztitel Capriccio entsprechend, das Kapriziös-Eigenwillige hervorgehoben. Die Presto-Coda spielte Zimmermann nicht brillant, sondern grotesk, so dass ich mich fast an den Teufelstanz aus der Geschichte vom Soldaten erinnert fühlte.
Für den großen Beifall bedankte sich Zimmermann beim Publikum mit dem Vortrag der Sarabande aus Bachs Partita h-Moll, BWV1002, deren Wiederholungen er stilsicher und mit höchstem Geschmack variierte.
Mit Schuberts Großer C-Dur-Symphonie wusste Jurowski besonders zu überzeugen. Er ließ das einleitende, in seinen Proportionen unregelmäßige Thema vom Solohorn langsam vortragen und entfaltete daraus die große Introduktion, die erst an ihrem Ende den Rhythmus erreichte, der dann regelrecht in das Hauptthema der Exposition geschleudert wurde. Mit großer Sorgfalt schichtete Jurowski in der Durchführung bis zu vier rhythmische Elemente übereinander, schattet die thematische Arbeit ab und ließ in der Reprise den Hauptsatz der Exposition wie auf Zehenspitzen gelaufen wiederholen. Sehr gelungen und ohne die Coda durch ein falsches, weil von Schubert nicht notiertes Ritardando unnötig zu monumentalisieren, kehrte Jurowski am Satzende in jenes Thema vom Anfang zurück, das nun zwar im ganzen Orchester erklang, sich aber seine Unregelmäßigkeit bewahrt hatte.
Als große Erzählung in Tönen geriet die Ballade des langsamen Satzes. Die Themen wurden zelebriert, bis die Katastrophe der Durchführung allen Wohlklang zerstörte. Davon erholten sich die nun in der Reprise wie verstört klingenden Themen nicht mehr. Sie versuchten zwar noch, in die Idylle zurückzufinden, doch es sollte ihnen nicht gelingen. Im Scherzo kamen Anklänge an Wiener Tanzmusik zu Gehör, die im Ländler-Trio sogar noch deutlicher hätten intoniert werden können. Im Finale gab sich das Orchester unter der Leitung Jurowskis ganz der euphorischen Entfaltung der riesigen Dimensionen dieses Satzes hin. Den Beginn der Reprise wusste Jurowski so rätselhaft zu gestalten wie Schubert diese Stelle komponiert hat: Ohne die Tonart schon wieder gefunden zu haben, ließ Schubert das Thema wie vorschnell in den Satz platzen, so als überstürzten sich die Ereignisse. Die vier gewaltigen Schläge des Seitenthemas gewannen nun Oberhand über den Satz und drängten mit großer Emphase dem siegreichen Ende der Symphonie entgegen. Einziges Manko in dieser sehr lebendigen Aufführung waren die Posaunen, die häufig zu laut spielten und auch in ihren mitunter fein zu setzenden Akzenten oft zu stark hervortraten.