Am Vorabend zu Konzertreisen der Bamberger Symphoniker in Hamburgs Elbphilharmonie und spanische Metropolen: Noten aus dem Reisekoffer lagen da auch im Bamberger Konzertsaal auf den Pulten, versprachen in klug ausgesuchter Vielfalt ein spannendes Konzerterlebnis. Für Igor Strawinskys Violinkonzert in D hatte Jakub Hrůša den jungen tschechischen Virtuosen Jan Mráček eingeladen, der 2010 jüngster Preisträger des Wettbewerbs beim Prager Frühling wurde und nun als Konzertmeister der Tschechischen Philharmonie tätig ist.

Jakub Hrůša
© Marian Lenhard

Strawinsky orientierte sich im 1931 in Berlin uraufgeführten Werk bis in die Satzbezeichnungen an barocken Formmodellen und komponierte über weite Strecken im mehrstimmigen Satz mit motorisch anmutenden Themen; das Soloinstrument wird dabei oft ins Orchester eingebettet. Gleich die Toccata, wie die übrigen Sätze mit akkordischen „Ausrufungszeichen“ eingeleitet, zeigt den Einfluss barocker Stilvorlagen. Geigensolo und Trompeten konzertierten im von Terzen geprägten Thema, beziehen die Flöten ins launige Concerto ein. Hrůša achtete auf ein moderates Tempo, das selbst bei den Tuttieinwürfen die Verzahnung der Stimmen offen hält, leuchtete das Miteinander von Solostimme und großem Orchester auch beim Thementausch durchsichtig aus. Jan Mráček ließ die virtuosen Glanzlichter des Satzes technisch perfekt aufblitzen, spielte dann die folgende Aria I souverän in den weiten Schritten ihrer schmiegsamen Melodie.

Wundervoll ausgemalt gestaltete Mráček die verhaltene Gesangslinie der Aria II, in deren reicher Verschnörkelung über dem gewissenhaften Schreiten des Basses das wohlbekannte Air aus Bachs D-Dur-Suite durchschimmerte, im dichten Klangbild mit lyrischer Schönheit verzauberte. Wie ein sprühendes Rondo knisterte auch das Capriccio vorüber, begeisterte in zackigem Staccato der Fagotte, beim Duett des Solisten mit Trompeten und Hörnern, in spielerisch frechem, ja voller Witz herausfahrendem Schwung: eine geradezu bühnenreife musikalische Szenerie zwischen Petruschka und Suite Italienne.

100 Metronome, in zwei Reihen geordnet am Podiumrand aufgebaut, erwarteten die Zuhörer nach der Pause, in unterschiedlichen Taktfrequenzen wie von Geisterhand in Gang gesetzt. Eine unerwartete Geräuschkulisse für die Besucher, die noch im Pausengespräch kamen; die Orchestermusiker schlenderten auffällig unbeteiligt zu ihren Sitzen. Schließlich trat auch Hrůša im abgedunkelten Konzertraum ans Pult. György Ligeti wäre heuer 100 Jahre alt geworden; immer auf der Suche nach neuen musikalischen Ausdrucksformen hat der österreichisch-ungarische Komponist 1962 dieses Poème symphonique geschrieben, eine zufällige Komposition von Klangquellen, vielstimmig auf engem Raum verflochten. Gut 15 Minuten lang gaben die 100 Metronome gleichzeitig und doch gegeneinander den Takt an; den Zuhörern blieb es überlassen, auf dabei spontan entstehende Rhythmen oder Wiederholungen zu hören oder aber über die Zeit und ihre Endlichkeit zu philosophieren.

Anfangs, noch voll aufgezogen, tickten alle Pulsgeber in unterschiedlichen Tempi; dabei war das einzelne Metronom nicht zu hören. Danach setzte eine zweite Phase ein, wenn sich aus dem wirren Tackern rhythmische Strukturen bildeten, weil die Klangimpulse zu Phasen von mehr oder weniger hoher Dichte führten. Am Ende blieb nur noch ein wackeres Metronom über, das seinen letzten Klack nicht finden wollte: ungeduldige Symphoniker schoben schon die Violine unters Kinn, schließlich gab Hrůša den Auftakt zu Johannes Brahms’ Vierter Symphonie.

Wieder sind es Rückgriffe auf die barocke Chaconne oder Passacaglia, mit denen nun Brahms für seine letzte Symphonie auf originelle Weise orchestrale Wucht und architektonische Größe erlangte. Und es sind die Pastellfarben der Sommerfrische, des rauen Herbstklimas, die er während seines Urlaubs in der Steiermark 1885 erlebte. Aus einem Grundbaustein, einem simplen Terzenintervall, heraus leiten sich durch stetige Veränderung organisch fast alle folgenden musikalischen Gedanken ab. Hrůša und die Bamberger Symphoniker entwickelten schon im Kopfsatz einen wunderbar sensiblen Klang für die melancholische, beinahe nostalgische Melodie.

Leicht schwebende Klänge, von geradezu Mendelssohn’scher Leichtigkeit, kennzeichneten auch das folgende Andante. Scherzendes Lärmen, Einwürfe von Piccoloflöte, Kontrafagott und Triangelgeklingel gaben dem Allegro giocoso einen fast grotesk wirkenden Charakter. Die dreißig Variationen der Schluss-Passacaglia boten sphärisch schwerelose Höhepunkte: wie in der Flötenvariation (berührendes Solo von Ulrich Biersack), gleichermaßen kantige Klanghorizonte in den Chorälen und Tuttisalven der Blechbläser, die Hrůša mit wuchtigem Körperschwung und weit geöffneten Armen antrieb. Und die Synkopen anfeuerte, deren Gegenharmonien und Gegenrhythmen eine Modernität zeigen, die – vom Barock hinweg - zu Bartók und Janáček führt.

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