Bereits in seiner Zeit als musikalischer Direktor der Opéra de Lyon hatte Kent Nagano, Amerikaner mit japanischen Vorfahren, sich mit der frühen Version von Ariadne auf Naxos beschäftigt, in welcher der Komponist Richard Strauss sowie der Textdichter Hugo von Hofmannsthal eine Rahmenhandlung zur Schauspieladaption von Molières Komödie Der Bürger als Edelmann schaffen wollten, zu deren Stoff bereits Jean-Baptiste Lully eine originale Bühnenmusik geliefert hatte. Da sich Strauss' später verworfene Urfassung nicht durchsetzte, arbeitete er die vorgesehenen Musikeinlagen zu einer gleichnamigen Orchestersuite um. Diese hat Nagano, von 2006 bis 2013 Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, nun bei einem Symphoniekonzert mit den Münchner Philharmonikern als gewichtiges Entrée aufs Programm gesetzt.
Zu sechzehn Streichern kommen im klein besetzten Orchester von zunächst Lullyschem Ausmaß noch Holz- und Blechbläser, dazu Schlagzeug, Harfe und Klavier. Nagano und die Philharmoniker ließen diese barockisierten, kammermusikalisch schrägen Tänze mit Gefühl für den graziösen Ausdruck erklingen, gaben ihren gewagten Harmonien federnde Delikatesse und pralle Intensität.
In leuchtenden Farben wurden die neun Episoden des Bürgers Jourdain koloriert, im Kleinen entfaltete sich hier das Können vieler Orchestersolisten ganz groß: wie Andrey Godik in seinem herrlichen Oboensolo in der Ouvertüre den protzig-einfältigen Jourdain charakterisierte oder im Menuett Michael Martin Kofler seine linkischen Schritte beim Unterricht des Tanzmeisters; im Tanz der umtriebig-geschwätzigen Schneider dann ein furioses Solo der Konzertmeisterin Naoka Aoki. Voll klassizistisch-bravouröser Spannung und durchaus in Strawinsky-Nähe bis in die große abschließende Tafelmusik: da war ein galant-verschmitzter Bilderbogen auf höchstem orchestralen Niveau zu bewundern!
Edvard Griegs Klavierkonzert a-Moll erfuhr nach seiner Kopenhagener Uraufführung in Deutschland eine eher unterkühlte Aufnahme wegen seiner Nähe zum Schumann-Konzert. Grieg selbst sah sich immer als Anhänger der deutschen Romantik, hatte Studienjahre am Leipziger Konservatorium verbracht. Allerdings ringt er nicht wie Schumann um Formprinzipien, sondern konzipierte eine eher rhapsodisch angelegte „Fantasie für Klavier und Orchester”, die virtuose Effekte und pianistisches Pathos verspricht. Dass dabei die frische Natürlichkeit seines norwegischen Kolorits und die verträumte Poesie lyrischer Wendungen nicht zu kurz kamen, war hörbares Anliegen von Kent Nagano ebenso wie des Pianisten Jan Lisiecki, 27-jährige Kanadier polnischer Abstammung. Was Lisiecki an struktureller und dramaturgischer Einfühlung aufbrachte, erstaunte und begeisterte wie die Souveränität seiner Balance aus rhythmischer Direktheit, entwaffnender Spontaneität und bewundernswerter Ausdruckstiefe.
Lisiecki kann durchaus Pranke zeigen in den wild gemeißelten Akkordkaskaden des Beginns, doch noch mehr suchte er nüchtern, ja sachlich auf den Tasten zu singen, gerade in kleinste Phrasen sich zu verlieben, mitunter darin zu verlieren; das verlieh dem Allzubekannten aufregend intime Momente. Dabei glitt diese Nachdenklichkeit nie in tiefsinnige Depressionen, auch nicht im Des-Dur-Adagio, sondern zeigte sich stets in helles Licht getaucht. Erst recht dann im changierenden Finalsatz, der selten so versponnen spielend wie mit koboldhaftem Übermut angegangen wird. An diesem schlanken, luziden Klang hatten die durchsichtig aufspielenden Philharmoniker unter Nagano maßgeblichen Anteil.
Alte Klänge in zeitgenössisch neues Gewand kleiden: der italienische Maestro Arturo Toscanini wollte auf einer Europatournee der New Yorker Philharmoniker mit einem monumentalen Werk punkten, das alle Möglichkeiten des modernen Orchesters ausreizen sollte. So bat er 1930 seinen Landsmann Ottorino Respighi um ein repräsentatives Arrangement; dieser hatte bereits Johann Sebastian Bachs Präludium und Fuge D-Dur, BWV 532 instrumentiert; für Toscanini orchestrierte er nun Passacaglia und Fuge c-Moll, BWV 582. Respighis Respekt und Vertrautheit mit Bachs Musik klingt berührend auch aus seiner Nachschöpfung; Toscanini hatte in New York den erwünschten Erfolg ebenso wie Kent Nagano jetzt mit den groß besetzten Münchner Philharmonikern. Die großartig aufgefächerte und leidenschaftliche Darstellung in der Isarphilharmonie verblüffte, eine frappante Orchesterleistung riss die Hörer mit: kein Kuriosum dies, ein echtes Faszinosum!