Zwei der drei Werke des gestrigen Konzerts sind mitten im Ersten Weltkrieg entstanden. Als „Antichrist“ und eine „Anbetung der ewigen, herrlichen Natur” beschrieb Richard Strauss seine Alpensinfonie in Anlehnung an Nietzsche. Ernest Blochs Schelomo, hebräische Rhapsodie für Cello und Orchester ist eine farbenprächtigen Meditation über das Leben und Denken König Salomons. Dass sich auch das erst im vergangenen Jahr entstandene Aino von Jimmy López Bellido nahtlos in dieses hinreißenden Konzertprogramm des Concertgebouw Orchesters einreihte war kein Zufall, denn auch sein symphonisches Gedicht erzählte eine mythische Geschichte.

Sol Gabetta
© Julia Wesely

Der peruanische Komponist Jimmy López hat sein Auftragswerk dem Dirigenten Klaus Mäkelä gewidmet. Es schließt in der musikalischen Ästhetik an Strauss an und folgt der Geschichte von Aino, einem unglücklichen Mädchen, die in der Kalevala, dem finnischen Nationalepos, erzählt wird. López spielt mit allen möglichen Orchesterfarben: Aino beginnt mit geheimnisvollem atonalem Geflüster und entwickelt sich über Konzertmeister und Posaunensoli vorbei an kratzigen Streicherglissandi bis hin zu vollem von den Blechbläsern dominierten Tuttiklang. Immer neu formierte Klangwellen wogten wie magnetisch von der Bühne in den Saal. Einige Instrumentenklänge, wie die des Rainstick waren nur zu erahnen, andere wie die Harfe waren deutlich präsent. Am Ende hatte das Glockenspiel mit einem einfachen Kuckucksruf das letzte märchenhafte Wort.

„Ich lernte die Kalevala zum ersten Mal durch Sibelius' Werk kennen, aber erst als ich nach Helsinki zog, habe ich den einzigartigen Platz, den es im finnischen Nationalgefühl einnimmt, voll und ganz erfasst. Dieses Stück ist in erster Linie ein Geschenk an Klaus, dem ich zutiefst dankbar dafür bin, dass er meine Musik mitnimmt, aber es ist auch eine Hommage an das Land, das mich als jungen Studenten aufgenommen hat.“

Mäkelä, der selbst Cellist ist und in Amsterdam schon in einem Kammerkonzert mit Orchesterkollegen zusammen musizierte, begleitete bei Bloch die vielseitige Cellistin Sol Gabetta mit Raffinement und Umsicht. Auf dem durch das Concertgebouw Orchester für sie delikat ausgelegten orientalischen Klangteppich strich Gabettas erdiger Celloton wie selbstverständlich nieder. Mit viel Gefühl für Timing und einem enorm variationsreichen Vibrato schlüpfte sie von einem betörenden Motiv zum nächsten. Vor allem die in nur Bruchteilen einer Sekunde vollzogenen Stimmungswechsel waren atemberaubend. So hatte man einmal das Gefühl, einem Stierkampf beizuwohnen mit Gabetta als Matador, um sie kurz darauf schon als einen verzweifelten alten Mann seufzen zu hören. Als Zugabe spielte sie mit dem Orchester Blochs Prayer: vollkommen verinnerlicht und dadurch in selten gehörter idealer Balance zwischen Emotion und Erzählkunst.

Selbst für Strauss' Verhältnisse war seine Alpensinfonie ein Kraftakt: Für die Schilderung eines von ihm selbst erlebten abenteuerlichen Alpentrekkings sind rund 125 Musiker erforderlich. „Erst jetzt habe ich wirklich gelernt zu orchestrieren", sagte er nach der Fertigstellung 1915. Wie einen perfekten Sturm ließ Mäkelä mit seinen Musikern dieses Meisterwerk spätromantischer Klangproduktion über das Amsterdamer Publikum dahinrasen. Die Akustik des Saals mit seiner beeindruckenden Orgel, die ihren neuen (Chef)dirigenten auf Händen tragenden Vollblutmusiker mit seinen einzigartigen Solisten und den vielen sich mühelos an den einzigartigen Orchesterklang anpassenden Verstärkungen und nicht zuletzt Mäkelä selbst mit seinen weit angelegten Spannungsbögen und präzise austarierter Klangbalance wuchsen an diesem Abend über sich hinaus.

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