Venedig, Venezien und Norditalien waren nicht nur Mittelpunkt europäischer Renaissance- und Barockmusik, sondern mit den Brennöfen und Kunstfertigkeiten anders produzierender Handwerksmeister auf der Laguneninsel Murano das Zentrum der Glasbläserei. Das junge französische Ensemble Le Consort machte sich diesen Umstand für sein neues Programm Specchio veneziano zu Nutze, um in Funktion, jeweiliger Sichtlichkeit, Bildlichkeit und Glanzgehalt zwei Komponisten gegenüberzustellen: Antonio Vivaldi und Giovanni Battista Reali, dessen hinterlassenes Antlitz in Opus und Geschichte verblasste oder mitunter nicht ungleich verhängt schien, just als er Venedig verlassen sollte. Ziert Vivaldi heute jeden Blick auf damalige (Violin-)Künste, ist das bei Reali nach wie vor anders. Gut, dass die Gruppe mit zum Teil wiederentdeckten Triosonaten (Sinfonie) – nun vorgestellt im Rahmen der Saisonkonzerte von Oude Muziek Utrecht – also einen neuerlichen Versuch unternimmt, das vielfältig Unbekannte etwas vergrößerter zum Vorschein zu bringen.

Le Consort
© Julien Benhamou

Mit Vivaldis allererst veröffentlichtem Werk, der Sonate in g-Moll, dessen letzter Satz zu dem Erkennungszeichen der Gruppe schlechthin geworden ist, begannen die Musiker diesen ihren Blick, mit dem sich Le Consorts artistisches Ebenbild zur Meisterschaft angeschauter Zeiten gleich offenbaren sollte. Auswendig und somit noch freier als ohnehin schon in ihrer Kommunikation und Ausdruckskraft im verinnerlichten Repertoire füllten die vier Riesentalente den Raum mit aufregendem Leben, als sie besonders die Harmonien mit betontem Affekt ausstatteten, sportive, leichte, knackige und spitzfindige Artikulationsblitze die Augen und Ohren wundern ließen sowie agogisch und dynamisch, über und mit allem so improvisatorisch gefühl- und verständnisvolle Welten des situativen Genussmoments schufen. Ganz in virtuoser Hingabe versunken war dann zudem solistisch Hanna Salzenstein, die dem Largo Vivaldis Cellosonate, Op.14 Nr.5 die Sehnsucht höchst phrasiert, mit intensivem Bogen und wirklich spürbar persönlicher Beziehung, außerdem geradezu modernem Touch aus den Noten zog.

Von ihrem Schlusston mit Justin Taylors Bassbegleitung aus schloss sich eine Echo-Improvisation von Théotime Langlois de Swartes und Sophie de Bardonnèches Violinen aus dem hinteren Mittelschiff der Sint-Pieterskerk in Maasmechelen an, die mit dem Schreiten auf die Bühne im satten, frühlingshaften Grave Realis Sinfonia IV mündete. Erheiterte de Swarte mit seiner ersten Allegro-Konzertanz im Piano, als er ohne Druck die Läufe tatsächlich unbeschwert einfach laufen lassen konnte, brach es im zweiten nur so rauschend und folkloristisch mit expressivem Doppelgriff-Spaß und Temposause aus ihm und de Bardonnèche heraus. Dabei kamen Taylors Triller ebenfalls gewitzt und wie seine Kolleginnen und sein Kollege erfrischend locker, technisch zupackend, extrem virtuos und souverän genauso hervor wie das volle, nicht vernachlässigte kontrastierende Bündel an artikulatorischer und dynamischer Wandlungsfähigkeit, die allen ein Lachen ins Gesicht zauberte und in angenehmer Atmosphäre so manchem Zuhörer auch allzu nachvollziehbar und für mich stellvertretend das staunende Wow entlockte.

Derer sollten zu jedem Applauszoll weitere folgen, erst recht gesteigert nach den beiden Follie, den zu jenen Zeiten so populären Tanzvariationen als Vehikel solistischer und ensemblepraktischer Fertigkeitenbeschau. Zunächst Realis heißspornig raue und gegensätzlich feinste, das Verrückte auf die Spitze getriebene Version, in der de Swartes virtuosester Megaanfall so fesselte wie die natürlich wieder schlafwandlerische Beherrschung aller vier sowie die Erforschung und Demonstration von Schönheit und Farbenreichtum. Ihr voraus und nach gingen weitere Sonaten-Auszüge mit gleichfalls meditativem, melancholischem und temperamentvoll rasendem Wahnsinn oder eleganterem Einschlag wie in Sinfonia X, Marco Uccellinis berüchtigte Bergamasca mit der Consort-individuellen Prise Augenzwinkern und stilistischem Effet in warm-gemäßigterem Angang und Bachs Larghetto seiner Cembalo-Transkription von Alessandro Marcellos Oboenkonzert, das Taylor mit bestechender Leuchtkraft, Organik und verzierender Klarheit bedachte. Schließlich riss Vivaldis Follia-Sonate nach Corelli von den Stühlen, als die sich davon Erhobenen Le Consort ihrerseits den Spiegel seiner fruchtig-rotbäckigen, coolen, hellauf faszinierenden und dennoch so unglaublich reifen Exzellenz vorhielten.

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