Bei der Uraufführung 1866 in Prag wurde Bedřich Smetanas zweite Oper Die verkaufte Braut mit wenig Euphorie aufgenommen, die Premierenserie wurde gar mangels Publikumsinteresse vorzeitig abgebrochen. Nach und nach erfreute sich das Werk dann aber doch noch immer größerer Beliebtheit und konnte sich so einen fixen Platz im Repertoire sichern. Warum die Oper Graz die stilistisch vermutlich tschechischste aller Opern nun nicht in Originalsprache, sondern in einer etwas holprigen deutschen Übersetzung von Kurt Honolka auf die Bühne bringt, erschließt sich nicht hundertprozentig; angesichts des höchst unterhaltsamen Abends stört diese Entscheidung aber letztlich nicht gröber.
Als sich der Vorhang öffnet, offenbart sich ein Bühnenbild, das geeignet ist, um verschüttete Schulsport-Traumata zu triggern: Eine Turnhalle mit Sprossenwänden, Ringen und Matten bildet nämlich den Ort der Handlung. Wie in jedem österreichischen (und vermutlich auch tschechischen) Dorf fungiert diese Turnhalle als Mehrzwecksaal – hier findet von Schwangerschaftsturnen über Feuerwehrfest bis hin zu Auftritten drittklassiger Künstler alles statt. Selten ergibt ein Einheitsbühnenbild so viel Sinn wie an diesem Abend!
Darüber hinaus ist die Inszenierung von Adriana Altaras gespickt mit vielen liebevollen Details, charmanten Einfällen und Raum für Situationskomik. Der Regisseurin gelingt es dadurch auch, das Stück nicht als verstaubte Rückschau auf eine böhmische Dorfidylle zu präsentieren, sondern es gewissermaßen von Raum und Zeit loszulösen – denn im Grunde könnte sich die Geschichte wirklich in jeder Mehrzweckhalle und jederzeit so abspielen. Eine weitere Stärke des Abends ist die Personenregie, nicht nur die Solisten, sondern auch alle Damen und Herren des Chores erweckten lebendige, differenzierte Charaktere zum Leben. Den Chor, unter der bewährten Leitung von Bernhard Schneider, kann man ohnehin meist uneingeschränkt loben – und auch in dieser Vorstellung begeisterten einmal mehr die immense Spielfreude, die vokale Akuratesse und die Klangschönheit.
Eine neue Paraderolle hat Tetiana Miyus mit der Partie der Marie gefunden, denn ihre Interpretation überzeugte auf ganzer Linie: Ihr Sopran strömt elegant, ist in der Mittellage samtig und blüht in der Höhe schön auf. Dabei vermittelt sie charmante Leichtigkeit ebenso glaubwürdig wie niedergeschlagene Melancholie. Zum Highlight wurde daher ihre Arie im dritten Akt, in der sie nicht nur mit technischer Finesse bestach, sondern auch die Gefühlslage der Marie mit mannigfaltigen Klangfarben illustrierte. Darstellerisch schaffte sie es ebenso, die Figur in all ihren Facetten zum Leben zu erwecken. Matthias Koziorowski brachte als Hans den Typ Mann auf die Bühne, den wohl jeder von uns schon mal in einem Festzelt kennengelernt hat: viel betonte Lässigkeit, große Klappe (die in direkt proportionalem Verhältnis zum Bierkonsum steht), aber eigentlich ein feiner Kerl. Das Timbre seines hellen Tenors verfügt über diese spezielle Färbung, die in slawischen Opern am besten zur Geltung kommt und in Kombination mit strahlenden Höhen sorgte er stimmlich für viele schöne Momente. Dass er jedoch einige Passagen ohne ersichtlichen Grund plötzlich in einem Fortissimo sang, das wirkte, als ob er sich in den letzten Takten des „Nessun dorma” wähnte, trübte den Eindruck etwas.
Sichtlich Freude hatte Wilfried Zelinka an der Partie des Kezal, denn er kostete es so richtig aus, den präpotenten Heiratsvermittler in all seiner Schmierigkeit zu spielen. Sein Bass verfügt dabei einerseits über genügend Substanz und dunkle Farben, um mühelos die diabolischen Facetten poltern zu lassen und andererseits ist die Stimme wendig genug, um die Strizzihaftigkeit charmant und locker klingen zu lassen. Wie Albert Memeti den Wenzel gestaltete, war nichts weniger als grandios: Zunächst hörte man in seiner Interpretation regelrecht die Schüchternheit und die Unsicherheit, die diese Figur begleiten; als er sich später im Bärenkostüm seine Freiheit zurückeroberte, ließ er auch die Stimme zunehmend mehr erstrahlen; dabei saß jede Höhe und jedes Stottern der Figur erstklassig. Darstellerisch schaffte er es, den Wenzel nicht einfach nur als plakative Witzfigur auf die Bühne zu bringen, sondern als unsicheren, aber grundsympathischen, jungen Mann.
Ideales komödiantisches Timing bewiesen ebenso Markus Butter und Mareike Jankowski, die Maries Eltern Krušina und Ludmila verkörperten. Und auch stimmlich boten sie, insbesondere Jankowski mit ihrem ebenmäßig satten Mezzo, an diesem Abend einigen Grund zur Freude. Wenig zu singen hatten Daeho Kim und Andżelika Wiśniewska als Mìcha respektive Háta, aber dennoch konnten sie ihren kurzen Auftritt nutzen, um die von ihnen verkörperten Figuren als herrlich snobistisch darzustellen. Als Zirkusdirektor bot Martin Fournier einen durchaus amüsanten Auftritt, auf die offenbar eigens für diese Aufführungsserie geschriebenen, halblustigen Gags, hätte allerdings getrost verzichtet werden können. Paulina Tuzińska in der Rolle der Esmeralda und Dariusz Perczak als Indianer steuerten einige unterhaltsame Momente und Klangschönheit bei.
Am Pult der Grazer Philharmoniker stand Chefdirigent Roland Kluttig, der mit seinem Orchester bereits in der Ouvertüre ein regelrechtes Feuerwerk zündete. Besonders beeindruckte den Abend über die fein abgestufte Dynamik: mal schnurrte das Orchester leise wie ein zufriedenes Kätzchen, dann wieder warf es sich so euphorisch in die Volkstanzmelodien wie eine Horde partyhungriger Teenager. Smetanas Musik erstrahlte dabei mit glühenden Farben dank leidenschaftlicher Emphase bei den Streichern, eleganten Kantilenen der Holzbläser und kecken Akzenten des Blechs. Bei all diesem orchestralen Überfluss blieb das Dirigat stets ausgesprochen sängerfreundlich, sodass die Vorstellung einen rundum positiven Eindruck hinterließ.