Während die meisten Konzerthäuser ihre Spielzeit bereits beendet und die Orchester in ihre wohlverdienten Sommerferien entlassen haben, hat die Kölner Philharmonie noch ein ganz besonderes Konzert zu bieten. Denn der Gebäudekomplex am Dom wurde in den letzten Wochen vom West-Eastern Divan Orchestra und ihrem Dirigenten Daniel Barenboim als Probebühne genutzt. So bildet die Aufführung von Bedřich Smetanas Má vlast (Mein Vaterland) in Köln den Beginn der diesjährigen Sommer-Konzerttour des Orchesters durch Europa.

Daniel Barenboim dirigiert das West-Eastern Divan Orchestra
© Monika Rittershaus

Barenboim musste die Konzerte im Frühjahr diesen Jahres aus gesundheitlichen Gründen absagen und als erster Auftritt nach seiner Genesung bildet dieses Konzert so nun einen ganz besonderen Auftakt. Die Wahl des Programms, Smetanas sinfonische Dichtung Má vlast, bezeichnet Barenboim als besonders passendes Werk für das internationale aufgestellte West-Eastern Divan Orchestra, da auch dieses keine Heimat und kein Heimatland besitzt. Das 1999 gegründete Ensemble, zu gleichen Teilen aus jüdischen und arabischen Musiker*innen bestehend, leistet mit seinen Auftritten einen künstlerischen Beitrag für die friedliche Lösung des Nahostkonflikts. Sicherlich ist diese als Utopie zu verstehen, denn diese kriegerische Auseinandersetzung ist auch aufgrund religiösen Fundamentalismus weit von einem Friedensprozess entfernt. Barenboim jedoch ließ an diesem Abend eine ganz besondere Art der Völkerverständigung im grenzenlosen künstlerisch-musikalischen Miteinander spüren.

Smetanas sinfonische Dichtung, bestehend aus sechs eigenständigen Teilen, wurde vom Orchester durch einen stets homogenen Klang und einer kraftvollen, aber nie übermäßig forcierten Interpretation verbunden. Bereits die Eröffnung des ersten Teils, Vyšehrad, erklang mit den beherzt energischen Harfen als programmatisch bezeichnender Auftakt. Die Harfen gaben als Inspiration den Impuls für den sich daran perfekt unisono spielend anschmiegenden Streicherapparat. Von ihnen ausgehend ließ ein Funke im gleichlaufenden Atem der Musiker*innen ein Rauschgefühl entstehen, das nicht nur in der prominenten Moldau-Melodie, sondern den gesamten Abend die Spannung hielt – trotz einer kurzerhand eingeschobenen Pause in dem nur 75-minütigen Werk. Faszinierend, wie Barenboim mit im hohen Alter immer minimalistischerer Gestik das Orchester zu schrankenloser Kreativität anspornte. Ein kleines Augenzwinkern dieses Dirigenten, und das West-Eastern Divan Orchestra entstieg dem Piano augenblicklich in ein effektvolles, eruptives Orchestertutti. Es waren diese sinfonisch-fließenden aber nie zähen Melodien, die frei von nostalgischem Schwelgen, ohne Pathos, entstanden und so die Partitur lebendig werden ließen. Auch Barenboim selbst hörte stellenweise ganz gespannt einfach zu, denn sein Orchester wusste die Komposition Smetanas, dank meisterhafter Einstudierung, ganz von sich aus in virtuoser Ausführung als Identitätsgedanken zu interpretieren.

Die Kölner Philharmonie hat man schon lange nicht mehr ausverkauft gesehen. Umso erfreulicher, dass diese Projektwoche – ein weiteres Konzert mit dem Pianisten Lang Lang folgt in wenigen Tagen – dort ihren Anklang findet und als denkwürdiger Auftakt auch die Sommerfestivals Europas bereichern wird. Glücklicherweise, denn fremd ist das West-Eastern Divan Orchestra in Köln ja schon lange nicht mehr!

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