Wer Isabelle Faust kennt, der weiß, dass die Geigerin durch ihre zielsicheren Interpretationen und ihren vollen, runden Ton überzeugt. Beim NDR Elbphilharmonie Orchester in Hamburg bewies sie einmal mehr, warum sie zweifellos zu den führenden Musikerinnen ihrer Generation zählen kann. Auf dem Programm in der Elbphilharmonie stand dabei keineswegs eines der üblichen Schwergewichter der Konzertliteratur von Beethoven oder Mendelssohn Bartholdy, Bruch oder Brahms, sondern das bis heute eher selten gespielte Violinkonzert von Robert Schumann. Im November 1853 geschrieben, entstand diese Komposition in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu Schumanns Selbstmordversuch durch einen Sprung in den Rhein und seiner folgenden Einweisung in die Nervenheilanstalt Endenich bei Bonn. Passend zu dieser und vermutlich sogar auch aus diesen schwierigen Lebensumständen rund um die Entstehung erwachsend, war die Komposition lange beinahe ganz vergessen; erst in den 1930er Jahren wurde es überhaupt in seiner Originalfassung uraufgeführt. Tatsächlich besticht das Werk durch seine ungewöhnliche Verschränkung von zur Entstehungszeit eher konservativ bewerteten Stilelementen bei gleichzeitig progressiven Stilmitteln.

Isabelle Faust
© Felix Broede

Besonders erstaunlich ist Schumanns extrem blockhaftes Gegenüberstellen von Soloinstrument und Orchester – das auf beinahe kuriose Weise dazu führt, dass der Solist selten Gelegenheit bekommt, zu glänzen. Eine große Solokadenz beispielsweise entfällt komplett. Für Isabelle Faust war dieser Umstand regelrecht eine Einladung, ihren samtigen Geigenton und ihre technischen Fähigkeiten ganz in den Dienst motivischer Entwicklungen und übergreifender Spannungsbögen zu stellen. Bereits ihren ersten Einsatz gestaltete Faust trotz des eher gesetzt gewählten Tempos voller Intensität und Zielgerichtetheit. Dabei scheute sie weder die große Geste noch introvertierte Zurückgezogenheit – eine Kombination, die letztlich zu eben jenem immensen Spannungsaufbau führte, der sich immer wieder dann wie in einem Gewitter zu entladen schien, wenn das Orchester das zupackende Hauptthema in den Saal schmetterte.

Das NDR Elbphilharmonie Orchester erwies sich dabei als ebenso subtil wie präsent agierender Partner. Antonello Manacorda am Pult sorgte mit dezentem und auf lange Linien und große Sinnzusammenhänge orientiertem Dirigat für die nötige Ordnung. Dass Manacorda und Isabelle Faust regelmäßig gemeinsam musizieren, erwies sich dabei schnell als Glücksfall: Auf jede noch so kleine Regung der Solistin reagierte der Italiener unmittelbar und konnte so, etwa im zweiten Satz, in leiseste Regionen führen. Herrlich, wie Isabelle Faust hier in aller Ruhe das kantable Hauptthema im Pianissimo zum Leuchten bringen konnte. Im unmittelbar anschließenden Finale wollte schon der ebenfalls geigende Schumann-Freund Joseph Joachim eine stattliche Polonaise des polnischen Freiheitskämpfers Tadeusz Kościuszko und des polnischen Königs Johann III. Sobieski erkennen. In genau diesem Geiste gestalteten die Musiker den Schlusssatz auch diesen Sonntag und baten so metaphorisch gesprochen zum Tanz. In den langen Läufen und Figurationen am Satzende zeigte Isabelle Faust noch einmal all ihre technische Finesse, was das Publikum mit begeistertem Applaus goutierte. Als Zugabe ließen es sich Orchester und Solistin nicht nehmen, noch einmal gemeinsam zu musizieren. Mit einer herrlichen Bearbeitung von Brahms' Romanze aus den Klavierstücken Op.118 präsentierten sie ein wunderbar schmachtendes Schmankerl, das bereits die Idylle der zweiten Konzerthälfte vorwegzunehmen schien.

Bereits in Anton Weberns das Konzert eröffnenden Orchesterfassung von Bachs sechsstimmiger Fuge aus dem Musikalischen Opfer hatte das NDR Elbphilharmonie Orchester glänzen können. Feingeistig interpretierten Orchester und Dirigent dieses höchstkomplexe Werk. Die anfänglich solistisch gesetzten Versatzstücke des Fugenthemas gerieten dabei gelegentlich fast zu verhalten, beinahe ängstlich und erst als sich die Einzelteile zu einem großen Ganzen zusammensetzten, schien das Orchester endgültig im Saal angekommen zu sein. Dennoch bereitete dieses so erstaunlich moderne Stück Musik in seiner Klarheit hervorragend auf alles Folgende vor. Nach der Pause stand Beethovens oft gespielte Sechste Symphonie auf dem Programm. Und Antonello Manacorda machte vom ersten Ton an deutlich, dass es ihm nicht um eine verzopfte, gemächlich mit der Konvention und mit altbekannten Interpretationsschemata mitlaufende Lesart ging, sondern vielmehr darum, in den so bekannten wie berühmtem Melodien immer wieder etwas Neues zu entdecken. Im ersten Satz gelang dies durch ein beinahe rasantes, frisches Tempo, das die Freude im auskomponierten Ankommen auf dem Lande nahezu mit Händen greifbar machte. Im durchsichtigen Gesamtklang des Orchesters waren dabei immer wieder Linien zu entdecken, die viel zu häufig übersehen bzw. überhört werden. In der berühmten Szene am Bach machte sich kontemplative Ruhe breit, die von einem präzis und dabei täuschen echt geblasenen Vogelkonzert durch Flötist Wolfgang Ritter, Paulus van der Merwe an der Oboe und Klarinettist Gaspare Buonomano abgerundet wurde. Im dritten Satz herrschte eine heitere Feststimmung, die irgendwo zwischen fröhlich-schwofender Biergartenseligkeit und derbe ausfahrendem Bauerntanz zu verankern war. Zu höchst dramatischem Spiel animierte Manacorda das Orchester in der Sturmmusik im vierten Satz, ehe sich der schließende Hirtengesang zart aus dem turbulenten Geschehen hervortat. Traumhaft, wie zart die Geigen das gesangliche Thema hier quasi aus dem Chaos erwachsen ließen und schließlich zu einem hymnisch vorgetragenen Choral steigerten. Selten hat man dieses Standardwerk der Konzertliteratur so anders und neu, so frisch und dynamisch gehört!

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