Auch wenn das Programm Sir John Eliot Gardiners Monteverdi Choir und English Baroque Soloists für deren Juni-Tournee, die endlich nach Klangvokals Festivalanfängen zwölf lange Jahre später wieder in Dortmund Halt machen konnte, über den Jahreswechsel noch Veränderungen unterworfen wurde, blieb der Grundstein für „Music of Consolation“ erhalten: Schütz' Musicalische Exequien samt kurzen Psalmvertonungen lutherischen Stils der Ars moriendi, mit denen dem 350. Todestag des hoch verehrten Komponisten gedachte wurde. Ebenso eine Motette aus Scheins Israelis Brünnlein zusammen natürlich mit dem übergroßen „Nachfahren“ dieser musikalischen Meister-Väter, Johann Sebastian Bach. Anstelle seiner Ostersonntagskantate platzierte Gardiner allerdings konsequent passender zwei der allerbesten Bachwerke im Sinne jener Vorgänger und Begräbnismusiken in die zweite Konzerthälfte, den Actus Tragicus sowie die ultimativst wundervolle Motette O Jesu Christ, meins Lebens Licht.

Sir John Eliot Gardiner
© Bülent Kirschbaum

Diese Attribute reichen dabei für Gardiners Rückkehr schlicht nicht aus, so jenseits und über aller bekannten Weltklasse hinaus bereiteten mir die Musiker mit ihrer außergewöhnlichen Klangpracht und Artikulation durchgehende Gänsehaut. Mit unnachahmlicher Textgestaltung sowie nie eindringlicher vernommener Unmittelbarkeit menschlich-theatralischer Geschichtserzählung und festivaleigener Schreibung schafften sie, dass mir einerseits ob erlebter Gesamtstimmenfaszination die Spucke wegblieb, ich andererseits so oft schlucken musste, um den sich bahnbrechen wollenden Tränenfluss aufgrund des sich bewussten Glücksmoments dieser zauberhaften Beiwohnung zu kontrollieren.

Sammelte sich zu Gardiners Auftrittsapplaus das Publikum noch selbst, ließ der Dirigent Schütz' geistliches Konzert Freue dich des Weibes deiner Jugend mit förmlicher Begeisterung im Ausdruck punktiert-titulierter Empfindung hereinbrechen. Der Monteverdi Choir tänzelte in seiner Deklamation und betonten Lebendigkeit über dem Genuss der hochzeitlichen Liebe, der die beiden Cornetti und die Sackbuts dahinter zusätzlich zur Continuo-Begleitung aus Orgel, Erzlaute, Barockharfe, Gambe, Cello und Bass jubilierende und schillernd pigmentierte Flügel verliehen. Für die Psalm-Davids-Motette Ist nicht Ephraim mein teurer Sohn kam das Blech zwischen die nun doppelchörig geteilten Vokalisten nach vorne, aus denen die sanften, diktionsgeschliffenen, affektuos phrasierten, kanonischen Favoritsoli Reginald Mobleys, Hilary Cronins (besonders strahlend) und Alex Ashworths lukten, ehe der Kapellchor im kontrastvoll szenisch-dramatischen Effekt auftuender Wiedergabe der Sprache des Herrn ertönte.

Vertonte die Textpassage auch Schein, hörte man aus dessen Kodex jedoch Da Jakob vollendet hatte, für dessen A-capella-Formation Gardiner die Mischaufstellung wählte und im verständlichen, herausragenden Maximum an Berührung beim paranthesiert pianissimo-erschütterlichen „und verschied“ sowie lautmalerischen „weinet“ alle Register zog. Der Umhang tröstlicher Wärme gemeinschaftlich-göttlichen Grundvertrauens durch melodische Linien legte sich in harmonischer Vorwegnahme späterer Bachmotette zudem um die von Laute und Sackbut-Consort begleiteten herzergreifenden Klagen Mobleys und Tim Morgans in Schütz' Geistlicher Chor-Music „Auf dem Gebirge hat man ein Geschrei gehöret“. Mit organischer, inspirierender, emotional intensiver Referenz für die Ewigkeit erfolgte die Zeremonie der Musicalischen Exequien, in der nicht nur der beeindruckende Tenor Jonathan Hanley in wahrhafte Erscheinung der Soli zu den eingeschobenen Erbarme-Dich-Versen der Chöre der Reuß-Begräbnismesse trat, sondern mit Cronin, Mobley, Ashworth, Emily Owen, Sam Cobb, Alison Ponsford-Hill, Iris Korfker, Graham Neal, Gareth Treseder, Chris Webb und Sam Evans zahlreiche Chormitglieder ihr Können in der Bandbreite seelischer und theologisch frommer Vermittlung unter Beweis stellten.

Nach der meditativen Sinfonia mit den mittelpunktlichen Altblockflöten des Actus Tragicus begann auch der zweite Teil mit prägnant hüpfend-tänzelnder, tropfend-pochender Prononcierung des Coros „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit“, in der der Monteverdi Choir im Tutti, folgend im ATB-Chor und Altchoral, trotz größerer Besetzung dank feinster leiser Dynamikdisziplin nicht überladen schien. Bei zärtlicher, zerfließender Geborgenheit und Seligkeit in der Hoffnung auf das Jenseits in der Sterbebettszenerie umso kongruenter agierten dazu die Solisten Ponsford-Hill, Mobley, Hanley, Ashworth und Robert Davies, bis zum Finale alle Blechbläser – ergänzt um zwei mutige Trompeten neben dafür noch mutiger besetztem Cornetto-Obligato – O Jesu Christ, meins Lebens Licht in festlichem Glanz und andächtiger Angefasstheit ausbreiteten. Dachte man, mehr ginge nicht, setzte ihr Gardiner in der Zugabe mit Johann Christoph Bachs A-capella-Motette Es ist nun aus mit meinem Leben in mehr als überwältigender Sentimentalität gar noch einen drauf.

*****