Als die Pläne für die diesjährigen Osterfestspiele in Salzburg bekanntgegeben wurden, war nicht vorherzusehen, zu welchem Politikum dieses Orchesterkonzert potenziell werden könnte: Während eines russischen Angriffskrieges ausgerechnet Dmitrij Schostakowitschs „Leningrader” Symphonie unter der Leitung von Tugan Sokhiev am Programm stehen zu haben, hätte manch andere Intendanz höchstwahrscheinlich nervös gemacht – Nikolaus Bachler ließ in Interviews lediglich verlautbaren, dass es „im Moment wahrscheinlich kein richtigeres Werk gibt“. Und zieht man in Betracht, dass Schostakowitsch seine Komposition vermutlich keinesfalls als Glorifizierung des russischen Sieges über Deutschland verstanden haben wollte, sondern als musikalische Schilderung des blanken Horrors in einer belagerten Stadt, dann ist diese Symphonie wohl wirklich der Soundtrack dieser Tage.
Die Sächsische Staatskapelle Dresden schuf vom ersten Ton an eine atmosphärisch dichte Klangwelt, in der im ersten Satz die Streicher ebenso elegisch wie schicksalsvorausahnend eine brüchige Idylle malten. Ganz großes Kino bot im Invasionsthema die kleine Trommel, die zunächst in kaum hörbaren Piani, wie aus weiter Ferne erklingend, zu marschieren begann und in fein differenzierter Dynamik unaufhaltsam näher rückte und dabei zunehmend bedrohlichere Wirkung erzielte. Sokhiev hielt das gesamte Orchester hier auch zu stetigem Anschwellen an, bis sich die Rohheit der Musik beinahe ins Unangenehme steigerte. Ebenso räumte der Dirigent aber auch den folgenden sanften Passagen wieder ihren Platz zu glänzen ein – so konnten etwa das trauernde Solofagott und die beinahe himmlisch flirrenden ersten Geigen einen idealen Gegenpol zur Brutalität der Invasion bilden.
Diese Kontraste zwischen der Erinnerung an eine friedliche Zeit und den Schrecken der Realität wurden auch im zweiten Satz fein herausgearbeitet, lieblich elegante Piani in warmen, satten Klangfarben standen grotesk peitschenden Passagen gegenüber. Im Adagio mit seiner Choralsatzstruktur wurden von Sokhiev und Orchester wiederum klug die Gegensätze verwoben, denn einerseits entfaltete die Musik durch getragene Tempi Momente berückender Schönheit, etwa als sich die Harfen zu den Streichern gesellten und in ein Zwiegespräch mit den Holzbläsern traten; andererseits schwang in diesem Satz auch stets deutlich ein latent bedrohliches Element mit, das in der Steigerung in Form des verzerrten Zirkusmarsches als Symbol einer grausamen, selbstherrlichen Staatsführung schließlich seinen Höhepunkt fand. Und auch im vierten Satz setzte sich dieser Eindruck fort, Sokhievs Interpretation klang so, wie eine Militärparade eines Diktators aussieht: übersteigert, mit harschen Pizzicato-Akzenten und verordnetem Jubel. Stärker lag der Fokus hier allerdings auf der trauernden Sarabande, in der der Dirigent beinahe quälend langsame Tempi wählte und das Orchester zu klagender Wehmut inspirierte, die von innerer Spannung und düsteren Klangfarben getragen wurde. Wenig Heldenpathos oder martialischen Siegesjubel vermittelte dabei die Interpretation der Siebenten Symphonie, die an diesem Abend im Großen Festspielhaus zu hören war; vielmehr wirkte das Werk wie ein verzweifelter Appell gegen jede Form von Faschismus, Gewalt und Unterdrückung – und diese Lesart wäre wohl ganz im Sinne Dmitrij Schostakowitschs gewesen.