Konzerte und Tanzveranstaltungen in Museen gibt es schon lange, meist ohne direkten Bezug auf ihre museale Umgebung. Beim diesjährigen Holland Festival war das anders: die Musik- und Tanzvorstellung Performance rock to jolt [ ] stagger to ash von Alexis Blake war speziell fürs Museum entworfen und hatte damit im vergangenen Jahr den Prix de Rome gewonnen, den ältesten Preis für bildende Künstler unter 40 Jahren in den Niederlanden.

Alexis Blakes rock to jolt [ ] stagger to ash beim Prix de Rome 2021
© Daniel Nicolas

Blake ist eine Künstlerin, die Bewegungstheater und Performance miteinander verbindet. Sie untersucht die Art und Weise, wie seit der Antike (weibliche) Körper dargestellt werden und stellt diese in einen gegenwärtigen Kontext. In rock to jolt [ ] stagger to ash behandelt Blake die Auswirkungen des altgriechische Verbots der Klage, mit dem damals die Stimme der Frauen ausgeschlossen wurde. Aber auch heute wird sie in gegenwärtigen patriarchalischen Gesellschaftsformen oft noch immer unterdrückt.

In Trauer und Protest kann die Klage unzensiert und unkontrolliert über Körper und Stimme geäußert werden. In Blakes Performance legen die Tänzerinnen Shari Ashley Labadie, Melisa Diktas, Alice de Maio, Polina Mirovskaya und Gianine Strang diese Strukturen treffsicher choreographiert offen. Sie bieten den Zuschauern damit Vorbild und Raum für kollektives Widersetzen und Trauern für eine zeitgenössische Klage, in der Emotionen frei geäußert und geteilt und damit gesehen und gehört werden können.

Alexis Blakes rock to jolt [ ] stagger to ash beim Prix de Rome 2021
© Daniel Nicolas

Die stimmgewaltigen Sängerinnen Logan Muamba Ndanou und Sanem Kalfa verwandelten abwechselnd dank raffiniertem Sampling und unter Hinzufügung weniger moderater Soundeffekte das großräumige ganz in weiß gehaltene Treppenhaus des modernen Stedelijk Museums in Amsterdam in einen konzertanten Klage-Ort. Beide Sängerinnen stießen auf ganz persönliche Weise bis in die Grenzbereiche ihrer stimmlichen und emotionalen Möglichkeiten vor und jagten dem Publikum damit immer wieder Schauer über die Rücken. Sänger und Tänzer bewegten sich konstant an den um die Treppenbalustrade stehenden Zuschauern vorbei und erreichten die meisten von ihnen damit buchstäblich hautnah. Kalfa sang ihren Klagesang während der Vorstellung auch im Liegen – dabei wurde sie von den Tänzerinnen durch den Raum getragen. Diese Prozession endete zuletzt auf einem Seitenpodium in einer der Kreuzabnahme Jesu verwandten Aufstellung.

Alle Mitwirkenden trugen Kostüme mit auffälligen Aufdrucken. Elisa van Joolen und Mika Perlmutter hatten dafür Kleidung recycelt und sie mit griechischen Texten und Fotos von antiken Statuen versehen, die die Ausgangspunkte formten für Blakes Vorstellungskonzept.

Gegen Ende dieser beeindruckend intensiven Performance kitzelte Blake auch noch den Geruchssinn aller Anwesenden, indem sie die Tänzer zu den Klängen eines dröhnenden elektronischen Beats ein großes Tuch ausschüttelnd durch den Raum bewegen ließ. Aus diesem Tuch verbreitete sich ein schwer definierbarer Duft, hergestellt von der in Berlin lebenden norwegische Künstlerin Sissel Tolaas. Er besteht aus Molekülen, die Tolaas in verschiedenen Archiven vorfand, die die unterschiedlichsten Formen von Zerfall untersuchen.

Selten hat mich ein Kunstereignis mit so verschieden sinnlichen Eindrücken konfrontiert.

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