Fast wortwörtlich nimmt das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin und sein Chefdirigent Vladimir Jurowski den 23. Dezember dieser Saison: Am Abend vor Heiligabend entführten sie in Die Nacht vor Weihnachten, das phantastisch-teuflische Märchen aus der Feder Nikolai Rimsky-Korsakows nach der Erzählung von Nikolai Gogol. Schon vor Beginn des eigentlichen Konzertes versprüht es dabei weihnachtlichen Charme: Im Foyer der Berliner Philharmonie singt der Philharmonische Chor „George Enescu“ aus Bukarest jene ukrainischen Weihnachts- und Volkslieder, von denen sich der Komponist für seine Oper inspirieren ließ.

Vladimir Jurowski
© Peter Meisel

Doch still und heilig, wie es das wohl bekannteste Weihnachtslied der Welt postuliert, geht es in Rimsky-Korsakows Oper nicht zu. Wo Gogol draufsteht, ist zumeist Surrealismus drin und auch Die Nacht vor Weihnachten bildet dabei keine Ausnahme. Während teuflische Kräfte versuchen, das Weihnachtsfest zu sabotieren, macht Wakula sich zum Schmied seines eigenen Glückes. Um die Liebe seiner Angebeteten Oksana zu erringen, stellt sie ihn vor eine scheinbar unlösbare Aufgabe: Die Schuhe der Zarin wolle sie haben, sonst werde sie ihn nicht heiraten. Mithilfe eines Kreuzes überlistet Wakula den Teufel, der sich schon seit Beginn der Oper darüber beklagt, dass die Menschen ihn nicht mehr fürchteten, und lässt sich von ihm in die Hauptstadt an den Kaiserhof bringen. Dort ist die Zarin so von der liebevollen Geschichte des dörflichen Jungen angetan, dass sie ihm ihre schönsten Schuhe schenkt. Weihnachten ist gerettet, es herrscht allgemeiner Jubel.

Passend zum Weihnachtswunder ließen es Jurowski und das Rundfunk-Sinfonieorchester an diesem Abend knistern, glitzern, schillern. Mit federndem Schritt bewies sich der Dirigent dabei als wahrer Hexenmeister, der sein Orchester und die Sänger*innen gekonnt durch die opulent-schneesturmreiche Partitur navigiert. Dabei zeigte Jurowski die richtige Mischung aus weihnachtlicher Sentimentalität und pragmatischer Leidenschaftlichkeit, sodass der Abend niemals überbordend wird aber dennoch immer fesselnd bleibt. Ungewöhnlich für konzertante Aufführungen in der Berliner Philharmonie war Die Nacht vor Weihnachten szenisch eingerichtet. Anisha Bondy nimmt die Oper dabei so wie sie ist: albern und süß, ein herzliches Märchen mit humorvoll-satirischem Unterton. Das ist kurzweilig und passender Eskapismus für die Weihnachtszeit. Ute Jäger und Saskia Theis zeigen in ihren weitestgehend traditionellen Kostümen die Tiefen des Fundus der Berliner Opernhäuser. Charmant-naiv jedoch manchmal etwas ablenkend wirken dazu Ausschnitte aus einem sowjetischen Zeichentrickfilm von 1951, die an die Decke der Philharmonie projiziert wurden.

Auf der Bühne stand dazu ein fast ausschließlich russisches Sänger*innenensemble. Mikhail Vekua als Wakula zeigte sich als leidenschaftlich-kraftvoller Tenor mit voller Stimme. Sofia Fomina gab die Oksana als naiv-eingebildetes Mädchen mit jugendhaftem Glanz. Dmitry Ulyanov als Tschub ist eine gesangliche Urgewalt, der seine Rolle mit der nötigen Prise Humor ausfüllte. Ebenso Ksenia Dudnikova, die als Solocha einen dunkel-rustikalen Zauber versprühte. Alexander Fedorov war mehr Teufelchen auf der Schulter als die Inkarnation des Bösen, erntete für seine Possen am Ende des Abends aber den womöglich lautesten Jubel. Einen Kurzauftritt der Extraklasse mit ihrem warm-funklenden Mezzosopran hatte Maria Prudenskaya als Zarin Katharina II. Als stimmgewaltige Menge stand ihnen allen dabei der Philharmonische Chor „George Enescu“ aus der rumänischen Hauptstadt zur Seite. Ein teuflisch-magischer Abend!

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