Als sich die Türen zum Auditorium der hannoverschen Staatsoper öffnen, ist die Bühne bereits mit Menschen gefüllt. Kein Vorhang verdeckt den Blick der Zuschauer*innen auf das, was da kommen wird. Ein Thron, ein Kleid, Museumsoptik. Einzelne Sänger*innen sitzen am Bühnenrand, beobachten all jene, die den Innenraum betreten. Bühne wie Saal füllen sich. Die Wortwechsel des plätzesuchenden Publikums werden durchbrochen, von einer alten Tonbandaufnahme. Feierlich-getragen liest eine tiefe russischsprachige Männerstimme eine Geschichte: Das Märchen vom Zaren Saltan. So beginnt die Erzählung, die Dichtung Alexander Puschkins basierend auf einem Volksmärchen, bereits bevor die Besucher*innen zu ihren Plätzen gelangen und die ersten Töne von Nikolai Rimsky-Korsawkows gleichnamiger Oper erklingen.
Zarin Militrissa, vom Herrscher über ihre Schwestern erwählt, hat einen Sohn geboren. Grenzenlos eifersüchtig schicken sie dem Zaren, gerade auf Kriegszug, eine Botschaft, dass der Neugeborene ein Monster sei. Militrissa und der kleine Prinz werden in einem Fass über das Meer verbannt. Durch Irrungen, Wirrungen, einen zaubernden Schwan und den berühmten Hummelflug wird die Familie schließlich wiedervereint. Regisseurin Eva-Maria Höckmayr befreit in ihrer Inszenierung die Geschichte von jeder märchenhaften Magie, schafft aber keine neue Welt, in der sie sich entfalten kann.
Karg ausgestattet ist die Bühne, klinisch-weiß die wenigen Strukturen, die Kostüme (Andy Besuch) ebenso pragmatisch wie plakativ: Die Guten in Grün, die Bösen in Rot, die Nebendarsteller*innen in Erdtönen. Nur der Zarensohn Gwidon sticht mit seiner gelb-blauen Kleidung und den Römerlatschen hervor. Den Fokus auf das Erzählen und das Zuhören wolle sie legen, erklärt Höckmayr im Programmheft. Das ist eine spannende Idee, doch leider lässt sich das kaum auf die Bühne übersetzen. Dort unterbricht die Tonbandstimme gleich ein halbes dutzend Mal den Fluss der Oper; fasst zusammen, erzählt was kommen wird. Die Sänger*innen verscharren sich um das Gerät; verharren, um das Gesagte zugleich in die unterkühlte Bühnenwelt umzusetzen.
Dabei begegnen den Zuschauer*innen vielfach symbolistische Andeutungen: ein übergroßer Zopf, der an die Haare der Schwestern erinnert; der Zarewitsch in gleich vierfacher Ausführung in verschiedenen Altersstufen; Bäume, die aus den Rücken der kleinen Gwidons erwachsen; ein beengender Raum, der von der Decke einschwebt; eine erblindete Gesellschaft des alten Zarenreichs zum Abschluss. Keines dieser Symbole ist jedoch wirklich ausgearbeitet und schafft neue, aufschlussreiche Bedeutungsebenen. Vieles bleibt an der Oberfläche und die Charaktere kaum greifbar. Dabei muss ein Märchen wahrlich nicht märchenhaft dargestellt werden, um Erkenntnis zu versprühen. Doch in Das Märchen vom Zaren Saltan schafft die Verknüpfung von Erzählung – dem Gehörten – und der Wirklichkeit – dem Erzählten – mehr Verwirrung, als die Fantasie anzuregen. So geht die Intention der Regisseurin im gerade zu Beginn vielfach versprühten Bühnennebel leider allzu häufig verloren.
Glücklicherweise erweist sich James Hendry, erster Kapellmeister, als stimmungsreicher Rimsky-Korsakow-Interpret. Fein-abgestimmt und niemals überlagernd begleitet der Dirigent die Sänger*innen, weiß aber auch, das Niedersächsische Staatsorchester zu Höhepunkten zu führen. Der kleine Wermutstropfen dabei: Allzu häufig werden die atmosphärischen Einleitungen des Komponisten zu den fünf Akten durch die Erzählerstimme vom Tonband überdeckt. Diese ist zwar durch den lyrischen Klang der puschkinschen Dichtung selbst ein stimmungsvolles Stilmittel, wird aber so in einen Wettstreit mit der Musik gestellt, bei dem sowohl Wörter als auch Töne als Verlierer enden.
Gesanglich liefern Solist*innen und Chor durchweg starke Leistungen ab. Mit ihrem klar geführten, warmen Sopran sticht Barno Ismatullaeva als Zarin Militrissa aus der Riege der Sänger*innen hervor. Einen klanglich spannenden Kontrast dazu bildet Sarah Brady mit ihrem silbrig-glänzenden Sopran als Schwanenprinzessin. José Simerilla Romero als dynamisch-lyrischer Zarensohn Gwidon und Pavel Chervinsky als verzweifelnd-leidender Zar Saltan komplettieren den Abend, der zumindest aus musikalischer Sicht überzeugt und in großem Jubel endet.