Animal Farm, die berühmte Satire von George Orwell auf die Opernbühne zu bringen, war ein lang gehegter Wunsch des italienischen Regisseur Damiano Michieletto. In dieser immer noch aktuellen Fabel zeigt Orwell, wie ein zu Anfang berechtigter Befreiungskampf in eine neue Diktatur ausarten kann, die mindestens so grausam ist wie die alte. Mit Alexander Raskatov hat Michieletto auf Vermittlung der Niederländischen Oper für sein Traumprojekt den idealen Komponisten gefunden.

Animal Farm
© Ruth Waltz | Dutch National Opera

Mit seiner erfolgreichen ersten Oper A Dog’s Heart (Das Herz eines Hundes) hatte Raskatov bereits 2010 ein literarisches Meisterwerk in unvergessliches Musiktheater verwandelt. Der nur wenige Tage nach Stalins Tod in Moskau geborene Raskatov hatte zwar Orwells Buch nie gelesen, da es in der UdSSR verboten war, war aber aufgrund seiner eigenen, unter dem Stalinismus leidvollen Familiengeschichte sofort Feuer und Flamme für dieses Projekt. In dem von ihm zusammen mit Ian Burton angefertigten Libretto von Animal Farm verarbeitet er darum auch seine eigenen Anspielungen auf dieses Stück bewegter politischer Geschichte Russlands.

Animal Farm
© Ruth Waltz | Dutch National Opera

Michieletto lässt die allegorische Geschichte über die Mechanismen von Macht und Unterdrückung, die nicht nur Stalins Russland charakterisiert haben, sondern auch heute noch auf der ganzen Welt wirken, unverblümt in einem Schlachthaus spielen. Nach der allgemeinen Verwahrlosung auf der Farm des Bauern Jones und seiner Frau (urkomisch gespielt und gesungen von Marcel Beekman und Francis van Broekhuizen) kommt es unter Führung des alten Schweins Old Major (Lenin, brillant im tiefsten Register gesungen von Gennady Bezzubenkov) zu einer Revolte der Tiere. Diese benennen den Hof in Animal Farm um. Sieben Gebote bilden ihre Gesetzgebung, die garantieren soll, dass alle Tiere von nun an friedlich zusammenleben und sich abwenden von allem Menschlichen. Die Arbeitseinteilung offenbart jedoch bald, dass die Schweine sich selbst die Hauptrolle zuweisen und sich über die Gesetze stellen.

Animal Farm
© Ruth Waltz | Dutch National Opera

Orwell schrieb seine aktuelle Parabel auf die Entartung der russischen Revolution in die Diktatur Stalins. Mit Napoleon (Bariton Misha Kiria, der mit imposanter Stimme und furchteinflößender Gestalt für die grimmig-komische Rolle des herrischen Schweins wie geschaffen ist) und Snowball (sympathisch und todesmutig mit wendbarer Tenorstimme: Michael Gniffke) haben Orwell/Raskatov Stalin und Trotzki deutlich erkennbar auf die Bühne gebracht. Aber auch Stalins grausamer Handlanger Beria hat als Squealer (beeindruckend: James Kryshak) schleimig buckelnder und gnadenlos mordender Verführer eine Schlüsselszene.

Animal Farm
© Ruth Waltz | Dutch National Opera

„Alle Tiere sind gleich, aber einige sind gleicher als andere” steht am Schluss in großen roten Neonbuchstaben am sich mit der Handlung ständig verändernden Bühnenhimmel von Paolo Fantin. Das von Germán Olvera kräftig und einfühlsam gesungene Arbeitspferd Boxer ist inzwischen an Auszehrung zusammengebrochen und wird entgegen aller gemachten Versprechungen nicht zum Arzt gebracht, sondern ins Schlachthaus abgeführt gemäß der liederlichen Losung: No person – no problem.

Das mit sechs Schlagzeugern, zwei Harfen, Saxophonen, elektrischen Gitarren und sogar einem Zymbal verstärkte Niederländische Kammerorchester wird von dem jungen libanesisch-polnischen Dirigenten Bassem Akiki geleitet, der das 20-köpfige Sängerensemble beeindruckend diszipliniert und mit genügend Raum für künstlerische Freiheiten am Zügel hält. Neben dem in Klaus Bruns herrlich fantasievollen Kostümen singendem Chor der Niederländischen Oper hat auch der vielköpfige Nieuw Amsterdams Jeugdkoor (Jugendchor) einen wichtigen Anteil am Gelingen dieser unter die Haut gehenden, ungemein zeitgemäßen Oper.

Animal Farm
© Ruth Waltz | Dutch National Opera

Wenn in der letzten Szene ein riesiges Schwein von Männern in blutigen Kitteln auf die Schlachtbank geworfen wird, dann wird noch einmal beängstigend deutlich in welch vielschichtig bedrohlichen Zeiten wir leben. Raskatovs Irina Schostakowitsch gewidmete neue Oper wird nach Amsterdam auch noch in Wien, Palermo und Helsinki zu sehen sein und hoffentlich überall so begeistert empfangen werden wie in Amsterdam.

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