„Ausverkauft“. Für einen Veranstalter gibt es keine bessere Reklame als diesen magischen Hinweis im Konzertkalender. So geschehen in den vergangenen Tagen auf der Website der Tonhalle-Gesellschaft Zürich. Grund dafür: ein Auftritt der Pianistin Yuja Wang mit dem Zweiten Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow. Mit von der Partie waren das Tonhalle-Orchester Zürich unter der Leitung von Paavo Järvi. Dass im selben Programm auch noch Rachmaninows Dritte Symphonie und eine Komposition des Japaners Toshio Hosokawa aufgeführt wurden, interessierte wohl nur einen kleineren Teil des Publikums.
Zusammen mit ihrem Landsmann Lang Lang gehört Yuja Wang zu den Pianisten, deren Konzerte fast immer ausverkauft sind, egal wo und was sie spielen. Warum? Ist es die charismatische Persönlichkeit, die packende Interpretationsweise, die inszenierte Selbstdarstellung oder der Erfolg einer raffinierten Vermarktung? Von allem wohl ein bisschen. Im Fall von Wangs Zürcher Auftritt kommt noch dazu, dass Rachmaninows Zweites Klavierkonzert – im Musikerjargon „Rach 2“ genannt – eines der beliebtesten Klavierkonzerte des Repertoires darstellt. Alle wollen es spielen, und unter den großen Interpreten unserer Zeit gibt es etliche, die fantastische künstlerische Resultate zustande bringen. Unter Wangs Altersgenossen wären da etwa Denis Kozhukhin oder Khatia Buniatishvili zu nennen, bei den etwas Älteren kommen einem Jewgeni Kissin oder Konstantin Scherbakow in den Sinn.
Und Wang? Gleich in den solistischen Akkorden zu Beginn des ersten Satzes lässt die Pianistin erahnen, wohin die musikalische Reise geht: Ein gewaltiges Crescendo mündet in einen kristallharten Klang, der das Hauptthema des Orchesters auslöst. Dieses begleitet Wang mit ungestümen Begleitfiguren, als könnte sie nicht warten, bis sie mit dem Thema dran ist. Tatsächlich legt die Solistin während des ganzen ersten Satzes ein kaum zu bändigendes Temperament zutage, spielt oft sehr laut und neigt zu einem scharfen, perkussiven Anschlag. Sehr effektvoll gerät der Schluss der Durchführung, der zum triumphalen Wiedereintritt des Hauptthemas in der Reprise mündet.
Eine andere Facette zeigt Yuja Wang im Mittelsatz, Adagio sostenuto. Raffiniert, wie sie die elegischen Melodien von Flöte und Klarinette ganz unprätentiös mit ihren Triolenfiguren begleitet und dennoch das in deren Mittellage schlummernde Gegenmotiv hörbar macht. Nur Jewgeni Kissin kann das noch besser. Und wenn die Solistin dann selber mit dem Thema dran ist, unisono in Oktaven, ist da alles Aufgeladene und Gewollte ganz fern. Das „romantische“ Schwelgen und Auskosten lyrischer Stellen ist sowieso nicht ihr Markenzeichen. Dafür dann umso mehr die unglaubliche Virtuosität des dritten Satzes, bei dem sie spieltechnisch keine Grenzen kennt. Hervorragend kommt der Scherzo-Charakter zur Geltung, da Wang und Järvi in ihrer Deutung bestens harmonieren. Fazit: Wangs Interpretation ist brillant und effektvoll, aber dass es die beste Interpretation des Werks wäre, kann man nicht behaupten. Das Publikum scherte sich nicht darum und bereitete der Pianistin einen frenetischen Applaus.
Das Zürcher Konzert stand im Zeichen des 150. Geburtstags von Rachmaninow, der dieser Tage weltweit gefeiert wird. Anlässlich des Jubiläums geht die Tonhalle-Gesellschaft mit dem Opernhaus Zürich eine Kooperation ein. In vier Konzerten werden, verteilt auf das Jahr, die Symphonien, die Klavierkonzerte, die Sinfonische Dichtung Die Glocken und die Paganini-Rhapsodie interpretiert. Dabei wird es auch zum Dirigententausch kommen: Järvi wird die Philharmonia Zürich, Gianandrea Noseda das Tonhalle-Orchester dirigieren.
Mit Rachmaninows Dritter Symphonie stand ein Werk des aus Russland emigrierten Komponisten auf dem Programm, das viel weniger populär ist als sein Klavierkonzert. Aus Schweizer Sicht darf man aber mit etwas Stolz erwähnen, dass die Dritte 1935 in der Villa Senar bei Luzern entstanden ist, wo der Komponist in den dreißiger Jahren jeweils seine Sommerferien verbrachte. Wenn man bedenkt, dass im selben Jahr Alban Berg sein Violinkonzert geschrieben hat, muss man gestehen, dass der noch im späten russischen 19. Jahrhundert wurzelnde Stil der Dritten reichlich unzeitgemäß anmutet. Vielleicht wollten Järvi und das Tonhalle-Orchester demonstrieren, dass das Werk eben doch einige „moderne“ Merkmale aufweist. Und tatsächlich: etwa im motorischen Scherzo-Abschnitt des zweiten Satzes oder in der harmonisch kühnen Durchführung des Schlusssatzes wurden sie fündig.