Die alljährliche Reise nach Bayreuth kommt fast einer Pilgerfahrt gleich. Der gemeine Wagnerianer, den man schon mal mit einen religiösen Fanatiker vergleichen kann und der seinen Lieblingskomponisten mit Vehemenz gegen Zweifler verteidigt, begibt sich nur allzu gern in die fränkische Provinz, um in überteuerten Hotels zu nächtigen und auf unbequemen Holz-Klappbänken bei tropischen Temperaturen auf dem Grünen Hügel die Werke des Meisters zu huldigen.
Wagners letzte Oper Parsifal gehört hier wohl zum exklusivsten, wie interessantesten Werk, da es eigens für das Bayreuther Festspielhaus, den gedeckelten Orchestergraben und seine einzigartige Akustik komponiert wurde. Wagner hätte es wohl gern gesehen, dass sein Bühnenweihfestspiel nur hier aufgeführt wird, denn eben dies unterlag seinem ausdrücklichen Wunsch. Nach seinem Tod erlaubte Cosima jedoch eine Sonderaufführung für Ludwig II. und nach Ablauf der Schutzfrist fanden auch Aufführungen außerhalb Bayreuths statt, welches Parsifal schnell weltweit bekannt machte und seine Anhängerschaft wachsen ließ, welche nun wieder zu seinem Ursprungsort strömen. So schließt sich der Kreis.
Dass eine konzertante Aufführung Parsifals nicht ungern angenommen wird, zeigten bereits die Kritiken der letzten Inszenierung. Vielleicht ist diese Vorstellung so als Parsifal-Neustart zu sehen, bei dem einfach der Reset-Button gedrückt wurde.
Ganz ohne all den pseudo-religiösen Tand und den fragwürdigen Interpretationsansätzen, aber dennoch nicht ohne Bebilderung, kommt dieser Abend aus: Mit den zwar nicht eigens für die Vorstellung gestalteten, aber Konnotationen weckenden Installationen des Künstlers Philipp Fürhofer, dessen Werke für Parsifal malerische und technische Elemente kombinierten, wird die musikalische Komponente ergänzt. Mithilfe von variablen Lichtquellen veränderten seine Bilder ihren Inhalt, spielten mit Oberflächlichkeit und Tiefe und ließen so unterschiedliche Motive hervorscheinen, um stets neue Assoziationen beim Betrachter zu wecken. Er evozierte, entlang der Handlung der Oper, mal eine wolkenverhangene Gralsburg, einen verzauberten Garten und ein loderndes Fegefeuer. Letzteres wirkte wir ein abstraktes Altarbild, unter dem der in sich zusammengesackte Amfortas sein Dasein fristete. Dieser wurde von Michael Volle als einen der versiertesten Baritone unserer Zeit verkörpert. Nicht nur stimmlich wusste er mit dramatischen Ausdruck, einer teilweise liedhaften Interpretation und gefestigten Bassfundament zu fesseln, auch szenisch überzeugte er als kraftvoll entkräfteter Gralskönig – hin und hergerissen zwischen Leiden und Leidenschaft.
Ihm ebenbürtig war Georg Zeppenfeld, eine ebenso erfahrene Bayreuth-Größe, was er auch in seiner souveränen Gurnemanz-Darstellung wieder bewies. Mit schlanker Bassstimme und dramatisch feinfühliger Gestaltung hing man stets an seinen Lippen. Als Titurel sang Günther Groissböck aus dem off mit markanter, fast zu kraftstrotzender Stimme und es verwunderte, dass er als einziger nicht zum Schlussapplaus erschien.
Petra Langs Kundry bestach durch eine dramatische Darstellung, mitunter jedoch nicht ohne Verlust ihrer Artikulation. Die sowohl im Sopran als auch im Mezzosopran erfahrene Sängerin bot vielerlei Klangfarben dar, konnte jedoch besonders im tieferen Register mit einer charaktervoller Interpretation glänzen.
Die hochkarätige Besetzung wurde nicht zuletzt von Stephen Gould abgerundet. Als einer der bereits seit vielen Jahren weltweit erfolgreichsten Heldentenöre und Interpret von Rollen wie Siegfried, Tannhäuser und nun auch wieder Parsifal, merkte man ihm an, dass ihm szenisch auf der leeren Bühne der Halt fehlte.
Fragwürdig schien, warum der Chor nicht auf der riesigen Bühne stand und hinter den Sänger*innen platziert werden konnte, sondern eingespielt wurde. In den bedächtigeren Momenten sang er überaus klangschön, aber bei den lauten Passagen erklang er überpegelt, da die Übertragungstechnik an ihre Grenzen stoß.
Ein frenetischer Schlussapplaus, Standing Ovations und Jubelstürme – sie galten besonders Christian Thielemann und wurden zu einer Dankesbekundung,gar einer Liebeserklärung – an seine Zeit und Arbeit in Bayreuth. Er, der wie kaum ein zweiter so viele Opern auf dem Grünen Hügel dirigiert hat, wurde vom Publikum an diesem Abend nicht nur für sein Parsifal-Dirigat gefeiert.
Der mystische Satz Gurnemanz im ersten Akt „Zum Raum wird hier die Zeit“ schien stimmungsweisend für Thielemanns Dirigat. Mit einer soghaft faszinierenden Interpretation verflog die Zeit wie im Flug und ward bereits nach dem Vorspiel vergessen. Der erste Akt war nach circa 1 h 40 min vorbei, ohne, dass ein Gefühl des „durch die Partitur Hetzens“ aufkam. Thielemanns Dirigat war feierlich und dennoch ohne Pathos – mit den für ihn so typischen leichten Verzögerungen, hier und da eine Generalpause, um dann wieder mit einem Accelerando Fahrt aufzunehmen. Es war ein überaus durchdachtes Dirigat und das Orchester folgte ihm mühelos. Man ist versucht, sich ganz dem Parsifal-Vokabular hinzugeben und Thielemanns Interpretation mit einer religiösen Erfahrung zu vergleichen.
Sein Dirigat und die meisterhafte Umsetzung durch das Bayreuther Festspielorchester wird noch lang nachhallen und in Erinnerung bleiben. Als einzigen Auftritt des derzeitigen Musikdirektors der Festspiele war es ein exklusiver Abend und doch bleibt seine Zukunft in Bayreuth ungewiss. Aber zumindest hat das Publikum – angesichts dieses Applauses – deutlich gezeigt, was, bzw. wen, es sich für Bayreuth wünscht.