Mit eckigen Bewegungen wacht Mutter Stahlbaum über ihre Tochter Klara, die in einer überdimensionalen Nussschale dem Weihnachtsabend entgegendöst. Bereits mit den ersten Takten der Ouvertüre des Nussknackers im Gärtnerplatztheater wird klar, dass Karl Alfred Schreiner mit seiner Choreografie dem Weihnachtsdauerbrenner von Tschaikowsky jegliches angestaubte Chichi aus der Partitur klopfen will. Statt Zuckerguss und Weihnachtskitsch erwartet das Publikum im Gärtnerplatz eine bonbonbunte Variante, die statt auf Pirouetten viel lieber auf Weihnachtsgeschenkeschlachten in Zeitlupengestik setzt. Eintritt zu dem Spektakel wird durch einen Vorhang gewährt, der sich erst lüftet, als Klara erwacht.
Völlig von der Tradition will Schreiner allerdings nicht lassen und inszeniert den Weihnachtsabend der Familie Stahlbaum mit holzschweren, beweglichen Bücherwänden, die sich blitzschnell in Klaras Traumwelt verwandeln lassen. Garniert wird das Bühnenbild mit kunterbunten Kostümen, inklusive Air Force-Piloten und trompetendem Rockstar.
Und während das Weihnachtszimmer der Stahlbaums noch im festlichen Glanz – inklusive schneeweißem Weihnachtsbaum - erstrahlen darf, wird das Bühnenbild im zweiten Akt immer karger und verlässt sich zusehends auf die prächtigen Kostüme vor einer buntilluminierten Leinwand. Berührend war die Interpretation der Klara von Anna Calvo, der der Übergang von der anfänglich übermütigen Tochter zur gereiften Abenteurerin wunderbar packend gelang. So viel Entfaltungskraft gesteht Schreiners Interpretation den anderen Protagonisten nicht zu und hier liegt wohl der Hauptgrund, dass der Gärtnerplatz-Nussknacker zwar passagenweise reizvoll ist, thematisch aber zu sehr an der Oberfläche bleibt. Schließlich reihen sich Ideen aneinander, die ihr volles Potential nicht ausschöpfen wollen.
Der russische Trépak, vorgeführt von einem ermatteten Eisbären, bekommt im Thunberg-Jahr eine besondere politische Würze, der Tanz der Rohrflöten mit dem Hausmädchen als Kaffeehausluder, die auf dem Serviertisch den Butler in Herrenstrapsen verführt, dürfte den allzu konservativen Ballettliebhaber sicher weniger erfreuen. Doch alle Provokation kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Schreiner der große dramatische Bogen des Weihnachtsmärchens nicht wirklich gelingt. Wirkliche Magie stellt sich bei diesem Nussknacker nur abschnittsweise ein, besonders im Pas de deux von Klara und ihrem Prinzen, in dem sich endlich auch David Cahier beweisen konnte. In fließenden Bewegungen gelang es Calvo und Cahier große Emotion auf die Bühne zu bringen.
Im Orchestergraben interpretierte das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz unter der Leitung von Michael Brandstätter die Ohrwurmparade mit angenehmer Frische und mit großer Freude, die Musik Tschaikowskys fernab einer Repertoireinterpretation erklingen zu lassen. Klangstark, allerdings nicht massiv, und mit sehr präsenten Holzbläsern spielte das Gärtnerplatzorchester mit seinen feinen Walzerrhythmen und zwingender Dramatik die Hauptrolle des Abends. Aber auch die Feinheiten der Partitur arbeitete Brandstätter luftig heraus, was sich auf die zarten Tänze der Rohrflöten und der Zuckerfee auf der Bühne übertrug. Unter dem Strich also ein Nussknacker, der sich als Komödie nicht so sehr auf das tiefgründigere Potential einlassen mochte, dank Orchester und ausdrucksstarkem Ensemble die Weihnachtszeit aber zuverlässig einläutete.