Am Samstag kann man sich in der Philharmonie in München gar nicht entscheiden, was nun das Highlight des Abends sein sollte. Es war Tag zwei des MPHIL 360° Festivals, das die Münchner Philharmoniker an drei Tagen im Gasteig und dem nahegelegenen Muffatwerk veranstalteten, die goldene Mitte sozusagen. Dem Namen des Festivals entsprechend wollte man über den reinen Hörgenuss bei diesem Festival hinausgehen und die Musik um weitere Kunstformen erweitern. Für die Wochenendfestspiele hatte Chefdirigent Valery Gergiev daher auch wieder Verstärkung aus seiner zweiten Wirkungsstätte, dem Mariinsky Theater in Sankt Petersburg, geholt, diesmal Tänzer der Ballettkompanie. Gemeinsam mit den Philharmonikern sollte nach der Pause Ravels Daphnis et Cloe-Ballett aufgeführt werden. Davon zeugte bereits der Aufbau des Orchesters zu Beginn des Programms, das sich ganz an die Rückwand gedrängt hatte, um die Bühne für das Ballett zu schonen.

Anja Harteros und Valery Gergiev
© Tobias Hase

Das Thema des Festivals war das Paris der Zwanziger, eine Zeit, die schon längst Moderne sein wollte und doch noch stark von der späten Romantik beeinflusst wurde. Gergievs Interpretation von Debussys Prelude à l'après-midi d'un faune machte das offenkundig und schlug so auch einen Bogen zu Alban Bergs Sieben frühe Lieder, die als Jugendwerke noch ganz klar in der Wienerisch spätromantischen Tradition eines Gustav Mahlers verwurzelt sind. Sopran Anja Harteros sang diesen vielfarbigen Zyklus herrlich befreit mit klarem Timbre. Obwohl sie die halbe Bühne der Philharmonie zu überbrücken hatte, die bereits für das Ballett vorbereitet war, hatte das zwar Auswirkungen auf die Textverständlichkeit, nicht allerdings auf ihre lyrische Ausdruckskraft. Fließend samtig interpretierte sie das Liebeserwachen in Die Nachtigall und machte dieses zum Fokus ihrer Interpretation. Die Philharmoniker und Gergiev begleiteten das Ganze auf dezente, aber vielfältige Weise.

Ballett des Mariinsky-Theaters
© Tobias Hase

Bereits in der Pause deutete sich an, was im Anschluss zu erwarten war. Im Foyer des Gasteigs turnten schwarze Figuren mit Tierschädeln, die sich später auf der Bühne in der Philharmonie in eine graue Ödnis mit Schilfgräsern einfanden. In der Choreographie von Vladimir Varnava wurde das Ravel-Ballett zum fragmentarischen Rausch der Sinne. Kaum konkret stand die Verbindung von Daphnis und Chloe im Mittelpunkt, die von gleich fünf Paaren getanzt wurden. Das war elegant, modern und nur mit reduzierter Requisite ungemein packend. Über der Bühne schwebte eine halb verdunkelte Sonne aus Neonröhren sowie ein bewegliches Modell mit verbundenen Ringen. Dieser Bühnenaufbau in Kombination mit der Beleuchtung von Igor Fomin sorgte für elektrisierende Atmosphäre.

Ballett des Mariinsky-Theaters
© Tobias Hase

Was Gergiev allerdings aus seinen Philharmonikern und dem Philharmonischen Chor herausholte, war wohlmöglich das tatsächlich Spektakuläre des Abends. So fein abgeschmeckte Klangfarben, wunderbar musizierende Solisten und ein Chor, der die clusterhaften Klangglissandi detailreich aufgefächert und herrlich ausbalanciert sang, hört man auch im Gasteig selten. Dagegen konnte auch der effekthascherisch ausgehaltene Finalakkord nichts ausrichten. So war das Konzert ein wahrer Rausch für die Sinne.

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