Dass es derzeit kaum einen Dirigenten gibt, der es besser versteht, vokale und instrumentale Stimmen zu einem organischen Ganzen zu verbinden als Philippe Herreweghe, belegte seine Aufführung der c-Moll-Messe Mozarts in Berlin. Er hat das Werk in letzter Zeit mehrfach mit „seinem“ Collegium Vocale Gent, aber mit unterschiedlichen Orchestern aufgeführt. Mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin musizierte er nun die Fassung Robbins Landons, in der alle später eingefügten Ergänzungen dieses Fragments gestrichen sind.
Noch bevor im Kyrie das Collegium Vocale Gent einsetzte, flehte das Orchester eindringlich um Erbarmen. Dann meißelte der Chor sein „Kyrie eleison“ regelrecht in die Kirchenfassade ein. Katharina Konradi, die noch mehrfach Glanzpunkte in dieser Aufführung setzen sollte, ließ im „Christe eleison“ nicht allein innige Töne zu Gehör kommen, sondern ein Licht in die bis dahin so dunkel verschattete Musik strahlen.
Mit Jubel setzte das Gloria ein. Das Collegium Vocale Gent entfaltete seine ganze Pracht und Vielfalt, sang dabei immer lebendig und vermied auch in den monumentalen Abschnitten alle gewaltsame Übertreibung. Herb im Ton geriet das kurze und markige Gratias, stets gehorchte die Intonation dem Rhythmus der Sprache und dem Sinn des Textes. Im doppelchörigen Qui tollis setzten die Sänger und Sängerinnen zunächst schwere Akzente und klagten später, angeführt vom ersten Sopran, das „miserere“ im piano mit synkopischen Verschiebungen. Dabei gelang es, den schutzlos ausgelieferten Einzelnen innerhalb des Kollektivs um göttlichen Trost bitten zu lassen.
Archaisch, in Pfundnoten, erhob sich das Fugenthema im Cum Sancto spritu, das später im Eintonabstand enggeführt wurde. Auch hier vermochte das Collegium Vocale Gent, wie durchweg in der Aufführung, das Fortissimo vom Forte zu trennen.
In den arienhaften Sätzen des Glorias standen die Solisten und Solistinnen im Zentrum. Im Laudamus te entfaltete Eva Zaïcik ihre koloraturhaften Triller und Läufe in einem farbigen Timbre. Im Duett Domine Deus traten die Streicher des rsb zu den beiden Solistinnen hinzu und artikulierten schließlich in schöner Phrasierung aus den anfänglich eingestreuten Imitationen einen Doppelkanon. Niemand dürfte hier eine gelehrsame Barockisierung Mozarts vernommen haben, sondern dessen Aneignung älterer Komponierweisen.
Mit dem Et incarnatus est, dem zweiten Satz des Credos, erklang das vielleicht heikelste Stück der ganzen Messe. Für die einen hat eine solche Koloraturarie in einer Messe nichts zu suchen; für die anderen ist dies die schönste Arie geistlicher Musik überhaupt. Wer Katharina Konradi mit ihr gehört hat, wird wohl nicht anders können, als sich für das letztere zu entscheiden. Über Flöte, Oboe und die Streicher ließ sie ihren Sopran schweben und verzauberte in ihrer Schwerelosigkeit das große Geheimnis der Menschwerdung Jesu, als dass sie die Erniedrigung beklagte. Es wurden auch Töne eines Wiegenliedes hörbar. Im Orchester hob Herreweghe die verminderten Septimenakkorde als Symbol der Marterwerkzeuge hervor, so wie wir das auch aus Gemälden von Christi Geburt kennen.
Im ersten Teil des Konzerts erklang Mozarts letzte Symphonie („Jupiter”). Herreweghe legte das Gewicht zu Recht auf das Finale, unterschätzte dabei aber, wie so viele seiner Kollegen, dass Mozart in den drei ihm vorausgehenden Sätzen dieses Finale so sorgsam vorbereitet hat. Mir fehlte in den ersten beiden Sätzen, bei aller Transparenz des Klanges, auch die Treffsicherheit in der Wahl der Charakterisierung der Themen, was die Aufführung der Messe dann so groß werden ließ. Das Menuett war allerdings so kantabel wie tänzerisch musiziert. Im Finale gelang die Verbindung aus „gelehrt-galant“ vorzüglich. Am Ende erklangen alle fünf im mehrfachen Kontrapunkt erfundenen Gestalten wie in ein tönendes Kristall gebannt, was heute noch die größte Bewunderung verdient. In Herreweghes Dirigat wurde in dieser Coda jene Universalsprache hörbar, in der jede Trennung aufgehoben ist.