Pur ti miro, es ist das Ende Monteverdis L'incoronazione di Poppea und jedes Mal berührt das glückliche Liebesduett des Kaiserpaares ungemein aufs Neue. An diesem Abend nicht nur ob der überirdischen Einfachheit und Innigkeit, mit der Counter-Nero Kangmin Justin Kim und Poppea Hana Blažíková zueinander finden, sondern ob des Umstands, dass es zugleich das krönende Finale Sir John Eliot Gardiners Trilogie in Deutschland markierte, aufgrund dessen sich noch stärkere Sentimentalitäten ausbreiteten. Denn wie es schöne Momente so an sich haben, sie vergehen im Jetzt zu schnell. In Erinnerung bleibt aber ein Opernerlebnis, das seinesgleichen sucht.
Auch dieses Drama kam bei Gardiner und seinen Monteverdis bestens zur Geltung, vor allem wegen des Basso Continuo der English Baroque Soloists, das im deutlich spürbaren Vergleich zum vorangegangenen L'Orfeo und Ulisse die gewünschte Spritzigkeit und Affektfreude an den Tag legte, um die wuchernden Emotionen kongenial zu unterstützen und ihnen einen stimmungsvollen, farbigen Anstrich zu verpassen. Es war in dieser monteverdianischen Gefühlsüberflutung der Handlung sogar so auffallend gereizt, dass es, wenn noch als Ensemblekörper mit den famosen Violinen, Bratschen, Blockflöten, Dulzian und Cornetti fluorisziert, Poppea in energischen Momenten verdeckte, wobei Blažíkovás aus erster Trilogie-Aufführung mitgeschleppte Bronchitis ein Faktor dieser Balanceunebenheit zu sein schien. Im leisen Umschmeicheln Neros mit Lirone, Harfe und Cembalo schon kein Problem, verschwand diese kleine Einschränkung, als die Begleitung noch stärker auf Blažíková reagierte, sich ihr Sopran zudem gleichzeitig besserte. Sie war somit rechtzeitig gestärkt für den Verschmelzungsabschluss, dem ein nicht minder intensives Duett mit Kim sowie eine von Stimme und Saiten grandios fein und zärtlich getragene Amor-Anrufung vorausgingen.
Verband sich in Blažíkovás Timbre der Wechsel aus reiner (machtkalkulierter) Kühle und wunschgeformter Wärme, traf diese Eigenschaft auch auf den ihr verfallenden Nero zu. Kangmin Justin Kim brannte als übersprungshandelnder Kindskopf, dessen geladenes Temperament sich stimmlich und darstellerisch expressiv entlud. Seine in brillierender Klarheit und Sinnlichkeit (wie seine reizenden Trilli) verkörperte Leidenschaft zu Poppea, seine rauschhafte (Selbst-)Verliebtheit im Duo mit Zachary Wilders Lucano oder die instrumental ebenfalls mustergültig gesteigert angespitzten Auseinandersetzungen mit Seneca und im tyrannischen Strafgericht mit Drusilla, Ottone und Octavia, jeder Anfall gelang in Wendung und Betonung unvergesslich einnehmend.
Poppeas Werk steigt auch ihrer Dienerin Arnalta zu Kopf. Redete Lucile Richardot erst klug mit ihrem starken, rassigen Alt, beschenkt von dynamisch und ausdrucksvoll wechselnder Auffassungsgabe sowie beherrschter Ornamentik, mahnend auf ihre Herrin ein, stolzierte sie im Überschwang ihres Klassenaufstiegs als verblendet-abgehobene Diva über die Bühne. Monteverdi hat eben an alles gedacht! Überwältigend genannt werden muss überdies ihr angestimmtes Schlaflied, das das Continuo in realistisch mondträumerischer Beruhigungsatmosphäre hauchte. War Richardot zweifelsfrei ein Star in allen drei Opern, darf Gianluca Buratto ebenfalls dieses Prädikat angeheftet werden. Auch als Seneca beeindruckte er mit seinem kernigen, weichen Bass und seiner immanenten Bedeutungsschwere, der nun in philosophischer Größe als sanfter, einflussreicher, gedanklich überlegener Gegenspieler Neros aufging. Senecas aus Wissen ruhender, einsamer Tod bildete einen weiteren Höhepunkt, fabelhaft und wuchtig erzeugt mithilfe des eindrücklichen, meinungsstarken Stirb-nicht-Anflehens der Männer des Monteverdi Chors und dem Ausscheiden der Instrumente.
Fällt Anna Dennis in der Rolle Drusillas zwar ihrer unerlöschlichen Hingabe zu Ottone zum Opfer, ist der Sopran, mit der sie jubelnd und rosig ihre unbrüchlich-verzückende Liebe in sich führt, der nächste Gesangs-Glücksfall, der alle drei Opern so phrasierungssicher und pronoziert bereicherte. Schnell übermannt von seinen Gefühlen zu den Frauen, ist Ottone dagegen nur Unglück beschert. Glück im Unglück zwar, dass er nach doch noch heldenhafter Verantwortungsentschlossenheit zusammen mit seiner Geliebten in die Verbannung geht. Dass es aber so kommt, ist das schmerzlich-naive Drama, das von Carlo Vistoli bebend-galant herübergebracht wurde, seinem edelvibrierten Countertenor sei dank; ob quälend schmachtend, tief enttäuscht oder hoch hormonisiert. Zum gescheiterten Auftragsmörder der Poppea wiederum von Neros betrogener Frau Octavia gemacht, setzte Marianna Pizzolato Maßstäbe im hervorragenden Setzen der glaubhaften Emotionen. Trotz durchgängigen Vibratos agierte hier eine wahre Kaiserin, die mit Anstand und Rache rang, ihren Entscheid dann machtvoll und listig verfolgte und genauso groß ihrem Todesschicksal mit alleinigen Seufzern entgegenging.
Octavia hatte ihren Plan ohne Amor gemacht, der – es wundert in diesem Wirrwarr eigentlich nicht – in seiner Kindlichkeit und Selbstverliebtheit auf Seiten Neros beziehungsweise Poppeas steht und von Silvia Frigato als quirliger, frecher Knabengott so passend getroffen wurde. Dem menschlichen Durcheinander, nichts ist hier fremd, setzte Michał Czerniawski als altkluge, miesmachende Amme mit seinen Registerwechseln schließlich die köstliche Spitze auf.
Gardiners und Rookes Plan dagegen erwies sich als durchdacht. Wie zuvor beschränkte man sich auf das Wesentliche: die für sich sprechende Zeichnung der Gefühle, in L'incoronazione di Poppea geballt und verstrickt, und die damit offengelegten, bahnbrechenden musikalischen Taten Monteverdis. Mit den sinnhaltigen Personenbesetzungen samt Stimmauswahl, einigen effizienten Regieeinfällen und den Monteverdi-Ensembles ein Triumph. Wie Pur ti miro lange Zeit als Ohrwurm melodiert, so wird die gesamte Mammutproduktion immerwährenden Nachhall und Eindruck in der Erfolgsgeschichte Gardiners Monteverdi-Exegese hinterlassen.