Richard Wagners einzige komische Oper Die Meistersinger von Nürnberg zu inszenieren, ist wahrlich keine einfache Aufgabe. Zwischen mittelalterlich verstaubter Butzenscheiben-Romantik und Deutschtum-verherrlichender Kunst-Propaganda haftet der Oper nur allzu sehr der Ballast der Geschichte von Wagners eigenem Antisemitismus bis hin zu Hitlers Verehrung für die fränkische Heimatstadt Hans Sachsens an. In diesem Kontext bekommt selbst bei einer noch so „gut gemeinten“ Inszenierung die Schlussansprache des Schusters „Verachtet mir die Meister nicht“ einen bitteren Beigeschmack... In seinem Vortrag vom „welschen Dunst“ im „deutschen Land“ urteilt Sachs darüber, was „deutsch und echt“ sei, schließt somit jedoch auch aus, was dieses Prädikat nicht verdient hat.
Johannes Eraths Lesart an der Oper Frankfurt möchte sich nicht mit der komplizierten politischen Rezeptionsgeschichte der Oper auseinandersetzen und lässt Sachs stattdessen einen in den Johannistag mündenden Sommernachtstraum durchleben. Wie bei Shakespeare müssen sich die Paare erst finden und auch bei Wagner, so die Parallelen, wird einer zum Esel gemacht: In diesem Fall ist es Beckmesser, der Opfer der allzu üblen Scherze wird. Eraths Bildsprache ist zu Beginn überaus einnehmend und charmant, das Bühnenbild voller unterhaltsamer Details, verliert sich dann aber in allzu vielen Widersprüchlichkeiten. Von Akt zu Akt gerät seine Inszenierung überladender und seine Deutung wird unverständlicher. Er verschreibt sich immer mehr dem Wahn-Gedanken und driftet in surreale Bildwelten sowie groteske Choreographien ab. Seien es die Meister in ihren exzentrisch karierten Anzügen, die auf sich unentwegt herumfahrenden Hochsitzen autoritär über allen thronen oder die von den omnipräsenten und alles durchdringenden Regelwerk des Meistergesangs überragt und eingeengten Bürger Nürnbergs – Erath und sein Bühnenbildner Kaspar Glarner finden atmosphärische Bilder, verzetteln sich aber letztlich in der Überzahl ihrer Ideen und Ansätze.
Eva versucht sich in der Welt der Meister/Männer zu behaupten, begehrt gegen die Entscheidung ihres Vaters auf, muss sich letztlich aber geschlagen geben. So wird sie als bloßes Objekt der Begierde mehrmals objektifiziert, indem ihr jeder ihrer potenziellen Freier versucht, einen passenden Schuh gewaltsam anzuziehen und sie so ganz für sich zu vereinnahmen. Magdalena Hinterdobler vermochte ihre Partie mit spritzigem Charme und unbedarftem Trotz darzustellen. Mit großer, leuchtender Sopranstimme stellte sie zumeist eine charaktervolle, selbstbewusste Eva dar. Dennoch wäre bei ihr in den lyrischen Passagen etwas mehr Textschönheit und auch Sensibilität für eine anrührende Phrasierung wünschenswert gewesen.
Ein so junger Sachs (Anfang 30) wie bei dieser Produktion ist eine große Seltenheit und schon allein deswegen muss man Nicholas Brownlee Respekt zollen. Seine Interpretation strotzte mit seinem herben, leichtem Bassbariton von ungewohnt jugendlichem Charme. Gut disponiert und szenisch selbstbewusst meisterte er seine Rolle mühelos. Mitunter ließ auch er die so essentielle liedhafte Ausgestaltung etwas missen. Doch Brownlee wird sicherlich noch in und mit der Partie wachsen und bis zur Wiederaufnahme an seiner Interpretation feilen.
Gerade für das Wagner-Repertoire der Oper Frankfurt kann Ensemblemitglied AJ Glueckert als Glücksfall bezeichnet werden. Mit stimmlich einnehmendem, glanzvollem Tenor erarbeitete er sich zunehmend die größeren dramatischen Partien. Dass er szenisch er in der unruhigen Inszenierung jedoch stets als Außenseiter, etwas unbeteiligt und durchaus gleichgültig wirkender Darsteller wirkte, macht er stimmlich wieder wett!
Michael Nagy, der sich der Bedeutung und Komplexität seines Charakters durchaus bewusst war und Beckmesser dementsprechend vielschichtig und klischeefrei darstellen konnte, setzte stimmlich in der Partie ganz neue Maßstäbe. Mit dezidiert feinsinniger Artikulation und deklamatorisch an Perfektion grenzender Interpretation war Nagy der geheime Meister des Abends. Seine Verinnerlichung der Partie zeigt, wie er als ein mit dem notwendigen Intellekt gesegneter Sänger, sich eine Partie akribisch erarbeitet und verinnerlicht hat, nun zu wahrer Größe aufsteigen kann.
Sebastian Weigle, der mit den Meistersingern seine letzte Wagner-Produktion an der Oper Frankfurt leitete, tat dies mit in ruhigen, zugleich nicht zerdehnten Tempi. Sein sängerfreundliches Dirigat erlaubte den Solist*innen sich sprachlich bestmöglich zu entfalten. Weigle entnahm mit leichter, farbenfrohe Orchesterführung in zartem Streicherklang, prachtvoll-warmer Tongebung der Hörner und akkurat tänzelnden Holzbläsergruppen dem Werk Wagners die bedrohlich-düsteren Akzente und führte das Publikum so in seinen ganz eigenen, akustischen Sommernachtstraum. Im Zusammenspiel des Orchesters proportionierte Weigle besonders die vom Chor getragenen Szenen stets durchhörbar und transparent, blieb dabei stets im Fluss und bewies, dass die Poesie der Dichtung Wagners eben gerade durch das Klangbild des Orchesters geprägt werden kann.
Zum Schluss wird der wahnvolle Traum des Sachs zum Alptraum. Während seiner ermahnenden Ansprache, erleuchtet der Germania-Schriftzug, wie er bereits am deutschen Pavillon der Biennale in Venedig 1938 prangte, über der illustren Versammlung auf der Festwiese. Dieser schwört bereits düstere Vorahnungen herauf, erinnert der gebogene Schatten des Schriftzugs doch allzu sehr an den des Eingangs zum KZ Auschwitz („Arbeit macht frei“) und ermahnt somit, was passiert, wenn man zu sehr darauf bedacht ist, was „deutsch und echt“ ist. Ein starkes Schlussbild für die neuen Frankfurter Meistersinger.