In der Hamburger Weihnachtszeit ist auch ein Lohengrin nicht weit. Zumindest in der Staatsoper wird Wagners Mischung aus Märchenoper und Historiendrama wieder einmal mit hochkarätiger Besetzung gezeigt. Bei Peter Konwitschnys spielfreudiger Inszenierung liegt das auch nah, denn schon am Ende des zauberhaft dahinschmelzenden Vorspiels kommt Licht von der Bühne durch den weißen Vorhang und ein überdimensional großes Klassenzimmer aus wilhelminischer Zeit scheint romantisch hindurch. Mit den Klängen gemischt, entsteht ein magischer Moment, der aber wie die Musik im Vorspiel nur ein Erahnen des möglichen Schönen ist.
Wagners Denken war zu dieser Zeit nämlich weit über die Musik und das Theater hinaus auf radikalen Strukturwandel der Gesellschaft ausgerichtet. Sein Lohengrin zeichnet einen Kampf gegen bestehende Regeln, als Kritik an bestehenden Realitäten und ist durch den Gral, die Utopie der Erlösung, auch Vorahnung eines möglichen Zustands.
Konwitschny verlegt das Ganze in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und entlarvt dadurch die Naivität des Lohengrin und auch die Begeisterung für den Schützer von Brabant, den aufkommenden Nationalismus. Aber nicht nur die Inszenierung ließ die vorletzte Hamburger Opernvorstellung der Dekade gelingen. Die Besetzung, allen voran Klaus Florian Vogt als Gralsritter ohne Namen, passt wie die Faust aufs Auge oder sagen wir der jugendlich klingende Tenor in das Klassenzimmer. Die Aussprache wie ein Musterschüler, das goldene Haar, die klare Stimme. All das berührte besonders in den liebevollen Momenten seines Auftritts.
Sein Gegenpart war Simone Schneider als Elsa, deren dramatischen Stimme der Spagat zwischen lieblich bewegt und kräftig mit technischer Perfektion gelang; ihr „Euch Lüften, die mein Klagen“ erklang zauberhaft süß. Die Aufteilung von himmlisch-hell (Vogt) und irdischem Gewicht (Schneider) war perfekt.
Die spannende Figur Ortrud und Gegenspielerin der Elsa wurde von Tanja Ariana Baumgartner gesungen. Mit dunklem Timbre, oft mit dramatisch von unten angeschliffenen Tönen, schmettert Baumgartner Anklagen und Intrigen trotzig bis boshaft in den Raum. Auch ihr Mann Friedrich von Telramund, Wolfgang Koch, ist auf der schwereren Seite. Baritonal und geradezu grob sang und spielte er den von Lohengrin in die Ecke Gedrängten.
Christof Fischesser war als König Heinrich, der hier als Lehrer der Klasse auftrat, vokal eindrucksvoll, frei und voll. Auch der mit Zeigestab agierende Heerrufer (Andrzej Dobber) verschaffte sich früh Gehör.
Doch am Meisten ist wohl der Chor der Hamburgischen Staatsoper zu loben. Das Klassenzimmer lebt durch ihn. Männer wie Frauen lachen, bewerfen sich mit Papierkügelchen, feiern Hochzeit, tanzen, und sangen dabei noch differenziert und lebendig. Besonderes zauberhaft waren die Quartette der vier Edeldamen (Angela Gajtanovska, Marina Ber, Carolin Löffler, Daniela Kappel).
Auch Kent Nagano gestaltete mit dem Philharmonischen Staatsorchester einen schönen, feierlichen Lohengrin. Von zarter Gralsmusik bis zu strahlendem Blech im Vorspiel zum dritten Aufzug. Das Ganze war so stark, transparent und gut gespielt, dass ich es noch mitten in der Nacht mehrstimmig im Ohr hatte.
Für das Ende hat Konwitschny noch einige Tricks parat. So wunderbar und zu Tränen rührend der Auftritt Lohengrins, ganz in weiß mit seinem Schwanen-Jungen, ist, der allen Konventionen zum Trotz die wahre Liebe mit Elsa will, so traurig ist es, wenn er in gleicher Pose wieder gehen muss. Lohengrin schafft es nämlich nicht, das zu bewirken, wonach Wagner in Kunst und Leben immer strebte: Erlösung. Konwitschny lässt hier den kleinen Gottfried, der stark an einen Kindersoldaten oder Mini-Parsival erinnert, auftreten.
Denn Spiel und Ernst liegen hier sehr nah beieinander. Die Schule ist die Welt in klein. Da lebt man, aber gleichzeitig spielt man noch, probiert im Geschützten Raum das Leben. Gleichzeitig ist es eine Infragestellung des erwachsenen Verhaltens, Nationalismus und Krieg wird in Kinder-Kulisse der Spiegel vorgehalten.