Der im heutigen Rumänien gebürtige ungarische Komponist György Ligeti (1923-2006) hätte in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert. Er gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der Musik des 20. Jahrhunderts. Auch der Gebrauch seiner Kompositionen in Hollywood-Produktionen hat Geschichte gemacht. Filme wie 2001: Odyssee im Weltraum, Heat, Shutter Island und Godzilla haben bei ihren Soundtracks Musik von Ligeti verwendet und seine Musik so bei einem breiten Publikum bekannt gemacht.

Das Stuttgarter SWR Vokalensemble war in voller Stärke (29 Sänger*innen und 2 Praktikanten) ins Muziekgebouw in Amsterdam angereist. Der Ligeti – Feldman getitelte Konzertabend begann überraschenderweise mit einer Auswahl aus den Lagrime di San Pietro von Orlando di Lasso. Das siebenstimmige Werk, welches aus drei Mal sieben Madrigalen besteht, hat Lassus kurz vor seinem Tod vollendet. Auch der beflogene Dirigent Bas Wiegers hatte die Zahlensymbolik (die sieben Schmerzen der Jungfrau Maria) gewahrt und ebenfalls sieben Madrigale aus den ersten vier Kirchentonarten ins Programm genommen. Die Kompositionen klangen unter seinem konzentrierten Dirigat ausgeglichen und strahlten eine meditative Ruhe aus.

Ligeti schrieb in seinem Vorwort zu der nun folgenden Solosonate: „Dafür besitzt die Viola durch die tiefe C-Saite eine eigenartige Herbheit, kompakt, etwas heiser, mit dem Nachgeschmack von Holz, Erde und Gerbsäure.“ Geneviève Strosser hatte die Sätze 1,2,5 und 6 ausgewählt und beeindruckte vor allem im Lamento mit einem farbenprächtigen Wechselspiel von brachialem Forte und flüsterndem Pianissimo.

Darauf folgten die Drei Phantasien nach Friedrich Hölderlin (1982), ein Auftragswerk des Stockholmer Kammerchors für 16 Stimmen. Mit weit ausfächernden Clustern und immer wieder aufblitzender dichter, komplexer Harmonik hat Ligeti auf die vielschichtigen Gedichte von Hölderlin ein Meisterwerk für A-capella-Chor gemacht: Lautmalerisch zeichnet er die Sprachbilder Hölderlins für das innere Auge der Zuhörer nach und lässt sie mit einer Palette von rhythmischen Effekten und leuchtenden Farben vorüberrauschen. Im berühmten Hälfte des Lebens ließen die Stuttgarter Soprane das k der „klirrenden Fahnen“ so schnell und perkussiv übereinander prasseln, dass man das so entstehende Zähneklappern fast körperlich nachvollziehen konnte. Das unvollendete Gedicht Wenn aus der Ferne... lässt Ligeti anders als bei Hölderlin schon auf die Worte „Traurige Dämmerung folgte nachher“ enden. Bei Wiegers wurde jede gesungene Wiederholung dieser Textzeile inhaltsschwerer und senkte sich dadurch unendlich langsam wie eine dunkle Wolke aufs Gemüt. Die Abendphantasie mit ihrer Paraphrase des Alterns blieb dank des mit vollem Einsatz singenden Solistenensembles spannend bis zum letzten Atemzug.

Von ganz anderem Kaliber war nach der Pause das Requiem-artige Rothko Chapel (1971) von Morton Feldman. Die achteckige Rothko-Kapelle befindet sich in Houston, Texas, ist klein und fensterlos und beherbergt 14 große Gemälde des amerikanischen Malers Mark Rothko, der sich 1970 das Leben genommen hatte. Als Feldman im Februar 1971 zur Eröffnung der Rothko-Kapelle in Houston war, baten ihn die Stifter der Kapelle, eine Hommage an Rothko zu komponieren. Das 30-minütige kontemplative Werk für gemischten Chor, Alt, Sopran, Bratsche, Schlagzeug und Celesta wurde dort 1972 uraufgeführt.

Rothko Chapel begann und endete mit Bratschensoli, das erste in Kombination mit sanften Paukenwirbeln. Der hervorragende Schlagzeuger Dominique Vleeshouwers vollendete mit genau getimten minimalistischen Motiven auf Pauken, Vibraphon und Röhrenglocken die verträumt- melancholische Atmosphäre dieser zeitlosen Chormeditationen auf die Unsterblichkeit.

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