Der erste von drei Auftritten Les Siècles' und seines Gründungsleiters François-Xavier Roth beim diesjährig von ihm (mit)kuratierten FEL!X-Festival der Kölner Philharmonie schloss nicht nur an Sébastien Daucés Eröffnungskonzert, sondern auch an die anderen eigenen Bühnenpräsenzen in der Domstadt an. Schließlich stand natürlich jahrhunderteübergreifende französische – moderne, unbekannte und sehr populäre – (Tanz-)Musik auf dem Programm, die untereinander verbunden war, die Reichweite des Originalklangs sowie die Eigenheiten, Vorzüge und Entwicklungen der dafür essentiellen historischen Instrumente herzerfüllend präsentierte.
So eine Suite zu Rameaus Pastorale héroïque Daphnis et Eglé, die nur eine einzige Aufführung zum Abschluss der Geburtsfeierlichkeiten des Duc d'Aquitaine bei der Herbstresidenz König Ludwigs XV. 1753 in Fontainebleau erfahren durfte, ehe sie zunächst William Christie 2014 neuzeitlich öffentlich premierte und Roth mit Les Siècles sodann das Jahr darauf für eine zusammegestellte Suite ins Repertoire aufnahm. Und neben Berlioz' La mort de Cléopâtre als inhaltlicher Kontrast der Liebesemotion war es die vom Ensemble neu edierte Ravel-Version besagten, aber durch Longos veränderten Daphnis-Stoffs – dem abenteuerlichen Finden von Partner und Eltern – als Beitrag zum Ballets-Russes-Djagilew-Fieber, dem Roth mit Strawinsky pur das zweite und dritte Konzert widmete.
Für den Rameau änderte der Dirigent seine übliche antiphone Aufstellung, postierte innerhalb der in damaliger großer Pariser Opernbesetzung angetretenen stehenden Les Siècles die zunächst colla parte mit den Violinen agierenden Oboen zwischen eben den hohen Streichern, während die vier Fagotte hinter den rechtsseitigen Bratschen ihre beim Komponisten so einzigartig-unerlässlich guttuende Farbe prägnant und vital zum Vorschein bringen konnten. Mit knackigem, sattem, akzentreichem Klang ließ das Orchester Rameaus Tänze in voller Blüte über das Parkett exerzieren und über die kontrastfeinen, grazilen, anmutigen, weichen Bewegungen – selbstverständlich mit dem Symbolinstrument der obertondekorierenden Traversflöte – in den langsamen Formen sowohl die unterschiedlichen Charaktere des Schrittspiels als auch die Liebenden beziehungsweise Amor und das Pastoralflair aufblenden. Auf der Basis rhythmischer Militärtrommelschläge – kombiniert mit Triangel, Tambourin, Schelle oder Fingercymbal – segneten im Verlauf vor allem die frisch phrasierenden Streicher die zünftig-bollernden Frohlockungen der ländlichen Gesellschaft mit Gelenkigkeit, gleichsam royaler Repräsentanz und zum Contredanse-Finale mit accelerando-aufgedrehter, stürmischer Feierausgelassenheit.
Mit gewohnter und (historisch) nötiger Antiphon-Aufstellung, für deren vorherige Umbauphase Roth das Mikrofon ergriff, um ein paar Worte zum Programm und der Tatsache der Aufführung zu verlieren, wühlten Les Siècles im dramatischen Monolog Cleopatras. Bestachen vorzüglicher Rhythmus und artikulatorische Wallungs-Grundierung des Orchesters, dessen mystisch-anwandlungsvoller Schimmer in der intensiven „Médidation“-Anrufung sowie im Finale besonders das Timbre von Darmsaiten und der körnige Biss der Fortissimo-Sforzati des Blechs, konnte ich mir keine bessere königliche Verkörperung von Schmerz, Rechtfertigungsabbitte, Trotz und Stolz vorstellen als Tragédienne Véronique Gens. An ihrem ausstrahlungsmanifesten, eleganten, klaren, runden und stilistisch funkelnden Mezzo konnte man sich so weiden, wie die antike Ägypterschönheit an ihrem Leid.
Die sphärischen Wellen sind auch Grundelement Ravels Sprache und symphonischen Klangwerks Daphnis et Chloé, das einerseits an Rameau durch dessen beliebte Verwendung der Windmaschine, des Fagotts, hier durch die „ältere“, kernigere Farbe des Kontrafagotts (Antoine Pecqueur), und die Eigenwilligkeit der Tänze – zentral im ersten Teil der spielerische Witz und Charme der Groteskerie – erinnerte. Und andererseits neue Exotik aufs Tableau hob oder den Chor, abendlich die konzentrierte Kartäuserkantorei Köln und der Chor des Bach-Vereins Köln (Co-Leitung Paul Krämer) gemäß Partituranweisung vom hinteren Saalende oder doch der Chorempore, als reine Instrumentenfarbe mit seinen aneinandergereihten A-Lauten benutzte. Obwohl ich die Editionsarbeit Les Siècles' ja im Hinterkopf hatte, vermochte es Roth, alle drei aufeinander verwertenden Teile Ravels stets so entstehen zu lassen, dass mich diese Natürlichkeit von emotionaler, einschneidender Tuchfühlung ebenso überraschte wie die feuerwerkartifiziellen Kulminationspunkte. Solch letzter führte im dritten Part von romantisch-erhebenden Untermalungen der Chöre bei exzeptionell-brausendem Orchester (spezielle Pariser Färbung brachten zum Beispiel noch Marion Ralincourts Flöte, Rémi Gormands Horn und Hélène Mourots Oboe ein) vom orgiastischen A zum Wow.