Die Sorge um die Zerstörung unserer Umwelt begleitet viele Menschen. Einige haben sich darum entschlossen, ihren Fleischkonsum einzuschränken oder auf die Bahn umzusteigen, andere probieren, Plastikverpackungen zu vermeiden oder ihre Putzmittel und Kosmetikprodukte selbst herzustellen. Trotzdem werden die Nachrichten über eingreifende und irreparable Veränderungen unserer Umwelt immer dramatischer. So kollabierte Larsen A, eine der ältesten Schelfeisplatten Anfang 1995 und zerbarst in tausende kleine Eisberge. Sieben Jahre später zerfiel das wesentlich größere Eisschelf Larsen B ebenfalls innerhalb kurzer Zeit.

Larsen C
© Pinelopi Gerasimou for Onassis Stegi

Der griechische Choreograph Christos Papadopoulos hat nun die 31. Ausgabe des fünfzehntägigen Julidans-Festivals in Amsterdam mit der Performance Larsen C (ein noch intakter Eisschelf mit einer Größe von 48 600 km²) als Eröffnungsvorstellung begonnen. Papadopoulos hat in Amsterdam studiert und ist mit seinem minimalistischen Bewegungstheater nun schon zum wiederholten Mal (u.a. 2019 mit Ion und 2021 mit Opus) bei Julidans zu Gast.

Larsen C
© Pinelopi Gerasimou for Onassis Stegi

Die Vorstellung beginnt in völliger Dunkelheit. In der hinteren rechten Ecke der Bühne entsteht ein schwacher Lichtfleck und verschwindet wieder. Die gespenstische Stille wird nur durch Hüsteln aus dem Zuschauerraum unterbrochen. Dunkelheit und Stille schärfen die Sinne und lassen viel Raum für Fantasie. Langsam schälen sich aus der Dunkelheit die Muskelpaare eines nackten Rückens. In einem sehr dünnen Lichtstrahl bewegt sich ein einzelner Tänzer. Sein Kopf ist hinter einem halbhohen Vorhang verborgen. Sichtbar sind nur Schulterblätter und Wirbelsäule, ein elastisches S, die sich in winzigen Stoßwellen von der Horizontalen in die Vertikale und wieder zurück bewegen: kleine Bewegungen wie von der Spitze eines Eisbergs.

Papadopoulos hat seine sechs Tänzer angewiesen, sich vorzustellen, dass ein Teil ihrer Gehirne über ihre Gliedmaßen verstreut ist. Damit können Arme, Handgelenke, Hände, Füße und Beine ihre eigenen Entscheidungen treffen. An der Oberfläche eines Eisbergs gibt es kaum etwas zu lesen, aber unter Wasser finden alle möglichen Strömungen statt. Papadopoulos: „Ich verwende diese Metapher oft für die motorischen Fähigkeiten meiner Tänzer. Äußerlich müssen sie mit minimalen motorischen Fähigkeiten die Spitze des Eisbergs zeigen, aber unter der Haut müssen sie große Bewegungen spüren.“

Larsen C
© Pinelopi Gerasimou for Onassis Stegi

Die 70-minütige Aufführung besteht aus drei Teilen. Nach der geheimnisvoll düsteren Einleitung hören wir elektronische Geräusche, laut und bedrohlich und mit lang nachhallenden Echos. Die Soundscapes verwirren und schaffen eine Atmosphäre von Orientierungslosigkeit und Verlorenheit. Langsam kommen die anderen Tänzer der Leon and Wolf Dance Company auf die Bühne. Es dauert recht lange bis sich die Musik von Giorgos Poulios im zweiten Teil zu rhythmischer Ambient Musik verdichtet und danach fast unmerklich immer mehr Fahrt aufnimmt. Dazu bewegt sich das Ensemble wie eine lose miteinander verbundene Eisfläche über die Bühne von denen die einzelnen Teile ab und zu von innen heraus zu beben scheinen.

Die wiederholten Wellenbewegung von sechs Körpern mit Armpaaren, die nach rechts schwingen, woraufhin die Körper gegen den Uhrzeigersinn folgen, gehören zu den stärksten Momenten der Aufführung. Bleibenden Eindruck hinterlassen auch die raumgreifenden Bewegungen der Tänzer, die wie durch Marionettenschnüre miteinander verbunden den gesamten Bühnenraum mühelos durchschweben. Der geniale Lichtplan von Eliza Alexandropoulou sorgt immer wieder für optische Täuschungen, die die Tänzer mal viel grösser und dann wieder kleiner als in Wirklichkeit erscheinen lassen.

Larsen C
© Pinelopi Gerasimou for Onassis Stegi

Im letzten Teil ist die Bühne in eine dichte Rauchwand gehüllt, die sich bis über die Köpfe der Zuschauer ausbreitet. Hinter der Bühne leuchtet ein einzelner Scheinwerfer hell auf. Ein einzelner Tänzer steht direkt vor dieser Lichtquelle und malt mit Armen und Beinen bedrohlich mächtige schwarze Schattensäulen in den dichten Nebel.

Larsen C endet wie es begann mit einem einzelnen Tänzer, der in der ihn umschließenden Dunkelheit, schmerzhaft langsam bewegend sich Stück für Stück in ein Nichts auflöst.

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