Die zahllosen Untaten des Kaisers Nero sind in den römischen Annalen verzeichnet. Von Staatskunst verstand er wohl nichts, von der ars erotica offensichtlich alles. In diesen Bereich gehört seine Liaison mit der stadtbekannten Kurtisane Poppea Sabina. Giovanni Francesco Brusenello hat den Fall 600 Jahre später für Claudio Monteverdi zu einem ironischen Opernlibretto verarbeitet und darin nicht allein den Verfall der Herrschermoral im alten Rom aufgespießt, sondern gleichzeitig auch den Adelsgesellschaften seiner Zeit einen Spiegel vorgehalten; und zwar vom republikanisch stolzen Venedig aus, wo L'incoronazione di Poppea im Karneval des Jahres 1642 uraufgeführt wurde.
Die Story: Poppea wittert die Chance, über das Bett Nerones zur Kaiserin aufzusteigen. Sie verdreht ihm derart den Kopf, dass er seine Frau Ottavia verstößt und ins Exil schickt. Dem Philosophen Seneca dagegen befiehlt Nerone die Selbsttötung, weil ihm dessen Appelle an die Staatsraison auf die Nerven gehen. Der Versuch von Poppeas Expartner Ottone, sie im Auftrag Ottavias zu ermorden, scheitert kläglich. Dem Aufstieg Poppeas zur neuen Kaiserin steht nichts mehr im Wege. Ein Opernstoff, der nicht nur lehrreich ist, sondern auch sehr unterhaltend – wenn er so auf die Bühne gebracht wird wie in Eva Maria Höckmayrs Berliner Inszenierung, die nun als Wiederaufnahme an der Staatsoper zu sehen war und so frisch und aktuell wirkte, als sei's der Tag der Premiere vor fünf Jahren.
Nikolaus Harnoncourt befand, dass keine der Hauptfiguren dieser Oper Sympathie verdiene. Tatsächlich sind alle irgendwie größere oder kleinere Schurken. Im genialen Bühnenbild von Jens Kilian bewegen sie sich auf einer zum Orchestergraben hin leicht abfallenden schrägen Ebene, die sich hinten nach oben verlängert, auf schiefem, zudem bisweilen rutschigem Parkett tendenziell dem Abgrund entgegen. Alle Figuren sind stets anwesend, alles findet gleichsam öffentlich statt. Nur die Beleuchtung richtet den Focus auf die Personen. Diese symbolische Bühne, präzise Personenregie und treffende Kostümierung machen allein diese eindrucksvolle Inszenierung aus.
Durch die am 17. Jahrhundert orientierten Kostüme sind die Figuren exakt in ihrem sozialen Status charakterisiert. Als Noch-Kaiserin tritt Ottavia im barocken Staatsornat auf. Wenn sie später von Nerone verstoßen wird, verliert sie mit der Robe auch ihre Würde. Nur mit erstickter Stimme kann diese schnöde verstoßene Ehefrau offensichtlich ihr Schicksal ertragen, fast tonlos klang Natalia Skryckas Lamento, bis sie schließlich von Schmerz überwältigt auch alle Wut herausstoßen kann. Als offizielle Person des Hofes ist auch Seneca charakterisiert in üppiger Staatsrobe mit Halskrause und gepuderter Perücke. Mit seriösem Bass, vom Orgelpositiv unterstützt, predigt Grigory Shkarupa gleichsam seine Sentenzen.
Ganz privatim dagegen das zentrale Paar. Nerone jovial in chic-kühler schwarzer Eleganz. Poppea mit knappem schwarzen Hemdchen über dem Dessous, fast anstößig freizügig. Slávka Zámečníková ist in dieser Rolle umwerfend. Vokaler und darstellerischer Ausdruck runden sich bei ihr zu einer im Wortsinn unheimlichen Ausstrahlung, einer knisternden Melange aus erotischer Verführung, durchtriebener Berechnung und exaltierter Lust. Poppea wird Nerone nicht mehr aus ihren Fängen lassen. Nur zu gerne allerdings lässt er sich umgarnen. Der Counter Carlo Vistoli ist dieser Nerone, in brillanten Koloraturen juchzend, stets leicht überreizt bis zur Extase. Es ist ein hocherotisches Katz- und Mausspiel, das auch mitunter die Grenze der Jugendfreiheit streift, welches sich dieses verliebte Paar hier vor aller Augen liefert.
Höchste Bühnenpräsenz auch bei allen übrigen Sängerdarstellern. Als ewig melancholischer Ottone stürzt Bejun Mehta mit zartem Counterton von einer unglücklichen Situation in die nächste. Drusilla, von der er sich Erlösung aus seiner Verzweiflung erhofft und ihr Liebe vortäuscht, kann ihr Glück kaum fassen. Permanent trällert Evelin Novak virtuos in den höchsten Tönen.
Die rein komischen Rollen sind dem Personal zugewiesen. Das sind vor allem zwei ältliche Damen, die hier aber von Sängerdarstellern verkörpert werden. Spiegelbildlich geben sie den beiden Rivalinnen Ottavia und Poppea Tipps aus dem Schatz ihrer Lebenserfahrung. Einer der Countertenöre der ersten Stunde an den Berliner Bühnen, Jochen Kowalski, gibt in der Rolle der Nutrice, der Amme Ottavias, absichtlich nicht mit Schöngesang, dafür umso charaktervoller ein Kabinettstück musikalischen Humors. Die Rolle der Arnalta, Poppeas Vertrauter, ist schon im Original einem Tenor zugedacht. Wie diese Figur am Schluss mit Poppeas Aufstieg auch den eigenen bejubelt, macht Thomas Walker zu einer Lachnummer an Eitelkeit. Glänzend auch die junge Sängerin Regina Koncz als Page Valetto, wenn sie koloraturenreich und mit enormen Witz dessen Wut über den „aufgeblasenen Philosophen” Seneca herauslässt.
Diego Fasolis, der die Premierenserie seinerzeit dirigierte, hat gemeinsam mit Andrea Marchiol für die Berliner Produktion aus dem nur fragmentarisch überlieferten Notenmaterial eine Orchesterfassung hergestellt, durch die sich alle Pracht des Frühbarock entfalten kann. Für jede Figur und jede Situation findet die Musik die passende Farbe, wozu Blockflöten, Dulzian, Zink und Posaunen neben Streichern, Continuogruppe und der Orgel klangvoll beitragen. In der gegenwärtigen Serie dirigierte Jean-Christophe Spinosi die herrlich aufspielende Akademie für Alte Musik Berlin.
Eine besondere Pointe hat die Regisseurin für den Schluss aufgehoben. Noch während des berückenden Duetts, in dem Poppea und Nerone in überirdischer Liebeswonne zu verschmelzen scheinen, wendet sich Nerone einer neuen Liebschaft zu – diesmal einem Mann!