Als ich in meiner Grundschulzeit mit meinem Zwillingsbruder die niederländische Partnergemeinde unserer Heimatstadt Unna, Waalwijk, besucht hatte, beschäftigten wir uns altersgerecht nicht sonderlich mit der Geschichte Brabants. Erst im vergangenen Herbst waren wir nach Aufenthalten in Eindhoven wieder in der Provinz Nordbrabant, genauer deren Hauptstadt s'Hertogenbosch, auch um das in der Zwischenzeit angelesen Historische vor Ort eingehender zu besichtigen. Kurioserweise wurden wir – als Protestanten – direkt beim Betreten der Sint-Janskathedraal vom katholischen Bischof gesegnet.

Holland Baroque bei einem früheren Konzert in der Saison
© Holland Baroque

Welch' Fügung des Vergangenen, mussten doch die Katholiken vor den Protestanten der Republik im 17. Jahrhundert fliehen und ihren Glauben eher im Geheimen und abseits der Zentren ausüben, siedelten sie nicht ganz in die Metropolen der nichtunionisierten Südniederlande über. So bildeten sich in ländlicheren Klöstern und Konventen Kammern religiösen und kulturellen Lebens, zu dem unter anderem auch unordinierte Gesangsschwestern gehörten, die Kwezelkens oder Klopjes genannt wurden. Ein Hauptsitz musikalischer Betätigung war das Karmeliterkloster in Boxmeer, in dem der seinerzeit hochbekannte Komponist und Organist Benedictus à Sancto Josepho wirkte.

Bei der Anfahrt nach Den Bosch war es eben über Boxmeer gegangen und ich erzählte meinem Bruder von den Holland Baroque leitenden Zwillingsschwestern Judith und Tineke Steenbrink, die dort aufgewachsen sind, liegt es zudem nur wenige Kilometer vom Stammhaus unserer Familie väterlicherseits in Kleve entfernt, in dessen Kreisarchiv auch Noten von Benedikt entdeckt worden waren. Die beiden nahmen sich ihren Benedictus – nach einer Einspielung von Triosonaten 2004 – zum Festjahr Brabantser Klöster 2021 erstmals mit dem sakralen Œuvre erneut vor, produzierten eine CD und präsentierten den Fundus auszugsweise – jetzt verstärkt mit neuen passionszeitlichen Stücken unter dem Titel Tränen von Brabant – mit speziellem Klopjes-Chor. Um sie live zu hören, fuhr ich wiederholt nach Brabant.

Neben vorheriger Benedikt-Widmung der erwähnten Sonaten, deren Opus VIII Nr. 7 die Violinen mit Judith Steenbrink und Chloe Prendergast sowie der Basso aus Rodney Pradas Gambe, Israel Golanis Theorbe und Tineke Steenbrinks Truhenorgel das österlich tragende Gefühl von Hin- und Zuwendung zusammen mit Holland Baroques rhythmischen, artikulatorischen und tonstrahlerischen Sicherheiten angedeihen ließen, fanden sich so zwei weitere oder von ihm ausgegebene Werke vom früher bekanntgemachten Repertoire im Programm wieder. Einmal der gesanglich um die Instumentalistinnen eindrucksvoll angereicherte Prozessions-Gregoriaans Media vita und das feierliche Tantum ergo, dann das dunkle, mit Bedacht vorgetragene O vos omnes Herman Hollanders' und das von Frans Jespers notierte Gemert-Gradual Jesu redemptor omnium. Im liturgischen Beginn mit diesem Graduale in Tutti-Besetzung, das heißt zu Genannten eine weitere Geige mit Filip Rekieć, eine zweite Orgel mit Emmanuel Frankenberg, immer wenn – wie hauptsächlich – Tineke Steenbrink dirigierte, der Dulzian beziehungsweise die Sopranblockflöte mit Moni Fischalek und die Tenor-Sackbuts mit Susanna Defendi und Matthijs van der Moolen, hielten meditative, weiche Herzlichkeit, Dezenz und Demut Einzug, die durch die allgekonnten Cantus-Verzierungen von Sopran Camille Allérat, Steenbrink und Fischalek sowie durch das „Gloria“ virtuose Überraschungen in sich bargen.

Zudem waren die Premieren Benedictus', Carl Rosiers und Jan Baptist Verrijts generell von einnehmender Verblüffung gefüllt, vermittelte Holland Baroque – auch mit den drei innig affektgesteuerten Violinen in den drei Sätzen Rosiers Antwerpsche Vrede-Vreught – den einzigartigen Brabanter Stil von kunstvoll-konzertanter, zuversichtsströmender und filigraner Harmonie in bestechender Klarheit. Möglich machte das vokal besagter Frauenchor – bestehend aus Allérat, Soprankolleginnen Hannah Morrison und Lucretia Starke sowie Mezzi/Alti Laura Lopes und Ludmila Schwartzwalder – in Andacht, hinreißend markanter Farbe, Leuchtkraft und Purismus. Damit gerieten Rosiers O dulcissime Jesu und Verrijts Rogo te leicht zu ehrend-funkelnden, belebenden Weihwasser-Brunnen, Benedictus' De profundis, Stabat Mater und Requiem zu frischen, ergreifenden, bündig-erhabenen Trostquellen in vorzüglicher Reinheit. In größerer, kontinuierlich gesteigerter Dramatik endete die Erkundung mit einem festlichen Osterhymnus, der – selbst wenn in allen Vertonungen die jeweiligen Enden leider effekttechnisch etwas uninspiriert daherkamen – Hoffnung, Glaube und erhörten Ruf untermauerte, weitere Brabanter Veröffentlichungen derart bereichernd zu erleben.

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