Vergangenes Frühjahr hatten die English Baroque Soloists unter Sir John Eliot Gardiner ihre Tourneetätigkeit nach den Lockdowns mit einem Programm begonnen, das Mozarts Sinfonia concertante, eine weitere Sinfonie des Komponisten und ein Haydnpendant beinhaltete und sie auf größere Reise in die USA schickte. Dabei agierten Konzertmeisterin Kati Debretzeni und Principal Viola Fanny Paccoud als ensembleeigen hochkarätige Solisten, auch wenn zuvor ursprünglich noch – wie zuletzt 2018 – mit Gardiners „auswärtigen“ Lieblingsgaststreichern Isabelle Faust (die dafür letzten April in London das Dritte Violinkonzert spielte) und Antoine Tamestit geplant worden war. Diese beiden sollten jetzt für die Concertante zu Teil zwei der Haydn-Mozart-Fahrt in europäischen Gefilden wieder mit ihrem Können dazustoßen, das diesmal von zwei anderen Sinfonien umrahmt wurde.

Sir John Eliot Gardiner
© Sim Canetty-Clarke

Auf Seite Haydns war das dessen Symphonie Nr. 84, also in derselben Tonart wie Mozarts Concertante, bei der spitzengenähte Eleganz und rockschoßhebende Verspieltheit Ensemble und Dirigent durchströmten. Gepaart mit unnachahmlicher Quicklebendigkeit und Einheit in Phrasierung, Akzenten und Dynamik sowie mitreißender Brillanz und Straffheit der leuchtenden hohen respektive brummigen tiefen Streicher brachten sie sich und Publikum im Kopfsatz auf erlebnisvoraussagende Touren. Einverleibte Vorzüge, die sich natürlich besonders auch im erhabenen, überschriftsmäßig korrekterweise nicht zu langsamen Andante bezahlt machten, als Gardiner Haydns antäuschende, schelmische Überraschungsmomentreflexe in den orchestralen Streichersoli oder spießumdrehende Harmoniemusik der Bläser gen Ende gegen die kurzen Aufwallungen des Tutti so kontrastierend und formgebend heraushob, als wähnte man sich in einem Scherzo. Dabei kam das mit dem Menuett-Trio eigentlich erst, in dem die Versatilität aus Rustikalem und Lieblichem eine köstlich inspirierende Mélange ergab. Vor Freude platzen musste ich, als die EBS ihre vollen PS im Vivace ausfuhren und sowohl stolz-strotzend als auch herrlich-protzend wirbelwindige Lange Nasen und ohrenziehende Zunge-raus-Grimassen in dramatischer Wucht verteilten.

In diesen musikalischen Organismus fügten sich die Solisten Faust und Tamestit für die Concertante nicht nur ein, sie machten ihn zu einem faszinierenden größeren voller fokussierender Exzellenz. Wie früher üblich, spielten sie die Orchesterparts in interaktiver, hinwendender Gemeinschaft Mozarts Eigenwilligkeit mit und befruchteten sich in Geist und Ausdruck, so dass man ob hervorragender Balance, die bei den English Baroque Soloists nie Statisches, Statistisches oder Statuettenhaftes zuließ, und ob einer respektierten, verbindlichen Kommunikation und tänzerischen Imitation der Partner staunen konnte, wie das Phrasieren, Ansetzen vibrato(los) variierter Stilmittel, Dynamisieren und vor allem die leichten Bögen den Nagel auf den Kopf, den Pfeil ins Herz trafen. Ging so das Allegro maestoso schon unter die Haut, wohnte man den Genies im berüchtigten langsamen Mittelsatz erst recht und äußerst intim und überwältigend bei, mit dem Effekt, dass das Gefühl für Raum und Zeit verschwand. Übrig blieb ein Eintauchen in einen suhlend-elegischen Genuss von zärtlich-darmsaitiger Tongebung und semiflageolettierter Farbigkeit. Nach dem dagegen abgesetzt knackigen Presto-Spaß als punktiert-umbrüchlicher Ausbund an Glück war es nur zu verständlich, dass all dies eine Zugabe herausforderte, die Gardiner, Faust und Tamestit mit der Wiederholung des Andante zur doppelt erlebten Zauberhaftigkeit einlösten.

Auf Seite Mozarts zweiten symphonischen Beispiels erklang die „Linzer”, die der Komponist in wenigen Tagen zu Papier und schlussendlich wohl Prima-Vista-Aufführung brachte, nachdem Fürst von Thun und Hohenstein wegen des Besuchs des Mozart-Ehepaares 1783 kurzerhand ein Konzert mit Neuschöpfung anberaumt hatte. Sturm und polierende Repräsentanz spiegelten sich in Gardiners Interpretation, bei der das Orchester selbstverständlich stand und damit neben der sichtbaren Aufrichtigkeit strahlender Ausgelassenheit hörbar die einen anfallende Elektrizität und festlichen Volten des erstmals von Mozart haydnstrukturaufnehmenden Kopfsatzes in beinahe unmögliche Höhen trieb. Signalisierten auch die Mittelsätze Persönlichkeit und Herrschaftliches mit entzückender Triowärme von Michael Niesemanns Oboe und Catriona McDermids Fagott, entfachte Gardiner im Finale mit Streichern, Hörnern, Trompeten und Robert Kendells fulminanten Pauken wieder haydnäquivalente Wirbel. Ein naturgewaltlicher Sog der EBS, der einen fest im Griff hatte und aus dem man gar nicht mehr entkommen wollte.

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